Mit der WZ durch die Nacht Im Schlaflabor: Detektive unserer Träume
Ein Wirrwarr aus Kabeln begleitet Patienten im Schlaflabor während der Nacht. Anhand von Datenflüssen wird der Schlaf analysiert.
Düsseldorf. Der Arbeitstag von Ali Habib und Alexander Pogliani beginnt immer pünktlich um 20 Uhr. Dann, wenn andere längst zu Hause vor dem Fernseher sitzen, im Restaurant auf das Essen warten oder sich auf die bevorstehende Party freuen. Und er fängt ruhig an, der Nachtdienst im Schlaflabor. Genauer: in der Klinik für Schlafmedizin in Grafenberg.
Gegen 20.30 Uhr trudeln die ersten Patienten langsam ein. Melden sich an, wie beim Hausarzt. „Im Prinzip sind wir ja auch eine Praxis wie jede andere“, sagt Ali Habib (27). „Nur dass wir unsere Patienten eben nachts untersuchen.“ Zehn Zimmer stehen in der Klinik zur Verfügung, insgesamt bieten sie Platz für elf Patienten. Sie alle sehen gleich aus: ein Bett in einem kleinen Raum mit weißen, neutralen Wänden, ein Fernseher am Fußende, ein neutrales Bild über dem Bett. Zur Linken und zur Rechten jeweils ein kleiner Tisch, die Fenster sind hinter grau-weißen Vorhängen verborgen. Und oben unter der Decke thront eine halbrunde, schwarze Kamera. „Die sieht wirklich alles, auch bei tiefster Dunkelheit“, sagt Habib. „Wenn wir wollten, könnten wir damit jede Wimper in Großaufnahme anschauen.“
Gegen 21 Uhr sind meistens alle Patienten da, die beiden Mediziner bringen sie in ihre Zimmer — an diesem Freitagabend fehlen noch zwei Patienten. „Die kommen schon noch, eigentlich sind unsere Patienten recht zuverlässig“, sagt der angehende Arzt. Er werde schon einmal anfangen mit der Arbeit, denn sonst könne es nachher knapp werden — und Stress mag im Schlaflabor keiner.
Dennoch ist noch einiges zu tun, bevor die Patienten ins Reich der Träume entschwinden. Alle müssen sie verkabelt werden, damit über die Nacht verschiedene Werte bei ihnen gemessen werden können. Die sollen am Ende Aufschluss darüber geben, wie es um den Schlaf der Patienten bestimmt ist. Unter anderem werden die Muskelspannung des Körpers, die Augen- und Beinbewegungen, der Atemfluss und die Sauerstoffsättigung im Blut gemessen.
Als Ali Habib ins Zimmer von Patientin Andrea Poth kommt, hat die sich gerade für die Nacht fertiggemacht. Im Schlafanzug sitzt sie auf der Bettkante, ein Buch in der Hand. Und wartet. Mit Hilfe vieler Elektroden und Kabel verbindet Habib sie mit einem kleinen Rekorder, den er ihr ans Oberteil klemmt. Dieses kleine Gerät ist ihr Begleiter für die Nacht, es wird ihren Schlaf und ihre Träume überwachen. Eine halbe Stunde dauert das Verkabeln der Patientin: „Das ist schon ziemlich lästig und zeitaufwändig, aber ohne geht’s nicht“, sagt er. „Bei elf Patienten und zwei Medizinern kann man sich ausrechnen, wie lange das dann dauert.“
Schlafstörungen sind in Deutschland kein seltenes Problem. Rund zehn Prozent aller Männer und fünf Prozent aller Frauen leiden unter Atempausen im Schlaf. „Diese Pausen machen alleine schon 95 Prozent aller Schlafstörungen aus“, sagt Dr. Hartmut Grüger, Chefarzt der Klinik für Schlafmedizin. Diese Pausen in der Atmung sorgten dafür, dass viele Patienten nachts immer wieder kurz aufwachen. Bewusst bemerkten das aber nur die wenigsten Patienten. Im Schlaflabor aber zeichnen die Messgeräte solche Wachphasen während des Schlafes sofort auf.
„Die Patienten kommen meist in die Klinik, weil sie merken, dass sie tagsüber müde und leistungsschwach sind, obwohl sie acht Stunden geschlafen haben“, sagt Grüger. Handeln sei bei solchen Atempausen unbedingt erforderlich: „Das kann schwere Folgeerkrankungen nach sich ziehen, zum Beispiel eine Schwächung des Herz-Kreislauf-Systems, Schlaganfälle, einen Tinnitus oder Herzinfarkte.“ Zudem seien die Atempausen, im Fachjargon Schlafapnoe genannt, die Hauptursache für Bluthochdruck.
Das alles soll durch Untersuchungen im Schlaflabor rechtzeitig erkannt und bestenfalls vermieden werden. Nicht immer geht das beim ersten Mal: „Wir haben hier sehr viele Wiederholungstäter“, sagt Ali Habib. Ein älterer Herr ist an diesem Abend schon das fünfte Mal in die Klinik gekommen. Seine Frau hat ihn gebracht, er kennt sich schon aus. Da macht es auch nichts, wenn er etwas später kommt: „Sie kennen das Ganze ja schon, machen Sie sich schon mal fertig. Ich komme dann gleich“, ruft ihm Habib zu.
Viele kommen regelmäßig, um eine Therapie in Angriff zu nehmen. So wie ein Patient, der an diesem Abend gerade seine Atemmaske aufzieht. „Rund 95 Prozent der Schlafstörungen können wir damit behandeln“, sagt Hartmut Grüger. „Damit führen wir den Patienten im Schlaf Luft zu, damit im Rachenraum kein Unterdruck entsteht.“ Das könne helfen, um regelmäßiger zu atmen im Schlaf. Allerdings müssten Patienten damit dann jede Nacht schlafen — und einmal im Jahr in die Klinik kommen, um die Maske neu anzupassen.
Es ist 23 Uhr, als Habib und sein Kollege alle elf Patienten verkabelt haben, auf dem Flur ist es geradezu gespenstisch still. Einen kleinen Rollwagen hat Habib im Flur stehen, darauf liegt ein Tablet-Computer. Auf dessen Bildschirm kann er schon jetzt sehen, was seine Patienten in den Zimmern machen: Ob sie schon schlafen oder gerade ihre Zähne putzen, ob sie lesen oder fernsehen. Später in der Nacht werden ihn diese Kamerabilder noch beschäftigen.
„Jetzt wird’s endlich entspannter“, sagt er, als er in den zentralen Raum der Klinik geht. Viele Bildschirme hängen an einer Wand, für jedes der zehn Zimmer ein eigener. Nach ein paar Klicks erscheint auf dem ersten Monitor das Bild einer Überwachungskamera — der aus Zimmer Nummer zehn, in dem sich Andrea Poth schon hingelegt hat. Das Licht hat sie noch an und liest. „Die Patienten sollen sich hier nicht großartig verstellen, sondern so zu Bett gehen wie zu Hause auch“, sagt er. Wer schon um 22 Uhr fest schlafe, solle das auch im Labor machen. „Dann beginnen wir bei demjenigen halt früher mit dem Verkabeln.“ Manch anderer sei es aber gewohnt, erst nach Mitternacht die Augen zu schließen. „Das ist auch okay“, sagt Habib.
Der Reihe nach erscheint auf jedem der Monitore ein Kamerabild. Und dazu Diagramme und Kurven mit allerlei Messwerten: „Die werden von den kleinen Rekordern direkt auf die Computer gesendet“, sagt er. Und dort werden sie abgespeichert, später ausgedruckt und dann vom Chefarzt analysiert. „Das sind dann am Ende einer Nacht ein paar 1000 Seiten pro Patient.“ Überwacht werden etwa Daten wie Sauerstoffsättigung, Muskelspannung im Körper, aber auch die Bein- und Augenbewegungen während des Schlafes. „Anhand der ganzen Daten kann man auch ablesen, ob ein Patient gerade träumt“, sagt Ali: „Nur, was er da gerade für Bilder im Kopf hat, das kann man selbst damit nicht sehen“, fügt er lachend hinzu. Er und sein Kollege Alexander Pogliani haben die ganze Nacht einen Blick auf den Datenfluss. „Wenn eine Elektrode angeht, sehen wir das hier“, sagt Pogliani. „Das ist nicht wirklich spektakulär, aber die große Kunst ist es, bei der Sache zu bleiben, auch wenn die ganze Nacht nichts passiert.“
Für den gelernten Krankenpfleger ist es die achte Nachtschicht am Stück. „Da geht das Sozialleben gegen Null“, sagt er. 16 Nachtschichten macht er im Monat, „da besteht das Leben dann nur aus Arbeiten und Schlafen, Freunde und Familie sehe ich in dieser Zeit nie.“ Dennoch — mit seinen Arbeitszeiten ist er mehr als zufrieden. „Ich bin eine Nachteule, ein Job, bei dem ich um acht Uhr morgens im Büro sein müsste, wäre absolut nichts für mich.“
Alles bleibt ruhig in dieser Nacht. „Das hatte ich auch nicht anders erwartet“, sagt Habib. Gegen 6 Uhr, mittlerweile ist es Samstag, wird er die ersten Patienten aufwecken. „Für die beginnt dann ein ganz normaler Tag“, sagt er. Jedes Zimmer hat eine Dusche, Frühstück allerdings gibt es nicht in der Klinik. „Alle sind froh, wenn sie zu Hause sind. Da gibt es dann ganz bestimmt auch das.“