Kirchen in NRW St. Pius X. in Wuppertal: Tröstliches Licht — mehr nicht
Die Sommer-Serie der Westdeutschen Zeitung: „Neue Steine des Glaubens“ lädt zur Wiederentdeckung des Baus moderner Kirchen, Synagogen und Moscheen ein, die oft zu Unrecht im Schatten mittelalterlicher Dome stehen — heute mit der Kirche St. Pius X. im Wuppertaler Stadtteil Barmen.
Wuppertal. Architekt Rudolf Schwarz ist kein Mann des sakralen Schnörkels. „Eine Kirche ist nicht der rechte Ort, mit gekünstelten Konstruktionen zu prunken, nur weil sie schwierig und neu sind“, schrieb er in seinem Buch „Kirchenbau. Welt vor der Schwelle“. Seine Bau-Philosophie spiegelt sich in der Kirche St. Pius X. im Wuppertaler Stadtteil Barmen wieder.
Das 1964 erbaute Gotteshaus ist ein Quadrat mit hohen weißen Wänden. Bis zum Dachfuß gibt es keine Fenster, so dass die Menschen ausschließlich von oben erhellt werden. „Die großen, weißen Wände hüllen die Gemeinde ein. Sie legen sich still um das Volk, und von oben, unter heller Decke, fällt ein tröstliches Licht“, beschreibt Rudolf Schwarz die Konstruktion. „Das ist alles, mehr geschieht in diesem Raum nicht.“
Diese Kirche will nicht vom Wesentlichen ablenken. „Das Karge ist genau so geplant“, sagt Pfarrgemeinderätin und Kunsthistorikerin Gerlinde Geisler. In diesem abgesteckten Raum mit seinen endlos in die Höhe ragenden Betonstützen treffen Gemeinde, Prediger und das Kreuz aufeinander. Ursprünglich baumelte der gekreuzigte Jesus in dem katholischen Haus an Seilen befestigt direkt über dem Altar. Vor vielen Jahren ist das Kreuz schließlich umgezogen. „Da haben wir dann richtig Ärger mit der Witwe Maria Schwarz bekommen“, erinnert sich Geisler.
Die Kirche ist nach der Idee des heiligen Weges konzipiert, der Weg zu Jesu Christi. Der Eingangsbereich ist absichtlich eng und dunkel gehalten, so dass der Schritt in die eigentlich Kirche noch eindrucksvoller wirkt. „Dieser Weg ist hier aber kein schmaler Lichtpfad durch eine bedrohliche Welt zu einem fernen Ziel hin, sondern ein Festzug durch einen breiten und festlich hellen, saalartigen Raum“, beschreibt Rudolf Schwarz die Konzeption seiner Wegkirche.
1966 erhielt das Haus seinen Altar aus Anröchter Dolomitenstein. Aus selbem Material ist der Sockel des Tabernakels von 1967, eine Art Stahltresor umgeben von Goldbronzeplatten. Deren Strahlkraft hat heute nachgelassen. „Da waren die Putzfrauen etwas zu eifrig“, sagt Gerlinde Geisler.
Prälat Fritz Möller, der die Kirche zwischen 1964 und 1979 als Pfarrer begleitete, zeichnete sich maßgeblich für die Beschaffung der Inneneinrichtung verantwortlich. Er beschaffte der Kirche auch ihre erste Glocke, die in einer reduzierten Konstruktion hinter dem Haus angebracht ist, ähnlich eines kleinen Ölbohrturms. Unter welchen Vorzeichen, das blieb lange Zeit sein Geheimnis. Ende der 90er Jahre, stellte die Gemeinde fest, dass hinter ihrer Kirche lediglich eine Leihgabe bimmelt.
„Wir bekamen plötzlich Post von der Glockengießerei“, erinnert sich Paul Kensbock, der 40 Jahre Kirchenvorstand war. Bei Aufräumarbeit in der geschlossenen Firma sei aufgefallen, dass die Kirchenglocke ursprünglich nur ausgeliehen und nie bezahlt worden war. „Wir sollten entweder 8000 Mark zahlen oder die Glocke werde abgeholt“, sagt Kensbock, der heute über die Geschichte lachen kann. Damals war der Vorfall ein Schock für die kleine Gemeinde, die nur mit einem Benefizkonzert und durch viele Spenden die Peinlichkeit abwenden konnte, zur Kirche ohne Glocke zu werden.
Auch der Bau der Kirche war ein Gemeinschaftswerk. Bereits nach dem ersten Weltkrieg sammelte ein Kirchenbauverein Geld für die junge St.-Pius-Gemeinde. Doch nach der Inflation der 1920er Jahre verfiel der Wert des Geldes. Eine zweite Spendensammelaktion endete mit der Währungsreform 1948. Erst im dritten Anlauf gelang der Bau.
Heute gehört St. Pius X. in Wuppertal zu den unbekannteren Sakralbauten. Das liegt laut Geisler auch an der von der Straße zurückgesetzten Lage. Damals thronte die Kirche gut sichtbar auf ihrer Erhöhung, doch heute ist sie zugewachsen, kaum zu erspähen. Vielleicht hätte dieses Zurückgezogene Rudolf Schwarz sogar gefallen. Schließlich sagte er einmal: „Hier ist nichts als stille Gegenwart der Gemeinde und Christi.“