Das 444-Millionen-Loch
Nach dem Ersten Weltkrieg mussten die Städte viele Dinge stemmen. Doch das Geld reichte vorne und hinten nicht.
Krefeld. Höchst vergnüglich kann das Blättern in Geschichtsbüchern sein. Zugegeben, nicht alle der 3492 Seiten der jetzt vollständigen fünf Bände der Stadtgeschichte laden zum Schmunzeln ein. Aber etwa die Frage nach den „städtischen Ziegenböcken“ schon. Wir schreiben die Jahre 1919 bis 1924, die Zeit der jungen Weimarer Republik.
Damals stritten Rechts (Zentrum) und Links (Mehrheits-SPD, Unabhängige-SPD, und später KPD) um das Schulsystem. Besonders tat sich dabei Vera Beckers (MSPD) hervor, eine frühere katholische Volksschullehrerin. Nach ihr ist heute das Berufskolleg an der Girmesgath benannt.
„Nieder mit der Ständeschule, her mit der nationalen Einheitsschule“ habe sie gefordert. Das erinnert an aktuelle Debatten im Lande. Der Zentrums-Stadtrat Eugen Keussen hielt ihr entgegen: „Wir wollen unsere Kinder katholisch erzogen wissen, damit sie nicht sozialdemokratisch werden.“
Während der alte Stadtrat noch vom Dreiklassen-Wahlrecht gewählt wurde (die 34 Mitglieder setzten sich aus 12 Nationalliberalen und sechs Zentrumspolitikern zusammen), fanden die demokratischen. Neuwahlen am 14. Dezember 1919 statt. Nur neun bisherige Stadträte wurden wieder gewählt.
Stärkste Kraft wurde das Zentrum mit 30 der 66 Sitze. Die Sozialdemokratie kam gemeinsam auf 24 Sitze. Die Nationalliberalen, die vor der Wahl eine Zweidrittelmehrheit inne hatten, kamen mit dem Bürgerblock auf zwölf Sitze. Oberbürgermeister blieb Dr. Johannes Johansen.
Über die Art und Weise, in der damals Politik gemacht wurde, gibt eine Aussage in einer Diskussion über den Theateretat von Justizrat Peter Floeth (MSPD) Aufschluss: „Wir können am besten im Theater Stadtverordnetenversammlungen abhalten lassen; ich weiß aber nicht, ob am besten als Ersatz für ein Schauspiel, eine Operette oder ein Lustspiel.“ Auch das erinnert an aktuelle Beispiele.
Der Eisenwarengroßhändler Wilhelm Ziellenbach (Zentrum) bremste der USPD-Vorsitzenden Ludwig Gabelin in der Stadtratssitzung am 15. Juli 1920 mit einer Bemerkung seiner Schwiegermutter aus: „Schwätzen ist keine Tätigkeit“.
Die Lektüre damaliger Zeitungen lässt aus heutiger Sicht schmunzeln. Am 27. Februar 1920 etwa ist in der „Krefelder Zeitung“ zu lesen, dass das Gartenamt (heute Grünflächen) ein Pferd angeschafft habe, das, so die Notiz, „die zwei Stadtesel unterstützen sollte“.
Schwein hatte hingegen der Erste Beigeordnete, Oberbaurat Hubert Hentrich. Am selben Tag enthüllte die Krefelder Zeitung unter der Überschrift „Das Schwein des Beigeordneten“, dass dieser in bedürftigen Zeiten das Borstenvieh in oder am städtischen Schirrhof hatte mästen lassen. Dem Bauleiter des Krefelder Hafens wurde Jahre später trotzdem eine Straße im Hafen gewidmet.
Im Stadtarchiv findet sich noch eine lustige Episode über die Stadtratsverssammlung. Unter dem Tagesordnungspunkt fünf ist die Rede von einer „Ordnung betreffend Erhebung einer Gebühr für die Benutzung der in städtischem Eigentum stehenden Ziegenböcke“. Gemeint war damit sicher eine Gebühr für das Decken von Ziegen.
Auch über Hunde wurde damals heftig debattiert. Ludwig Gabelin trat klassenkämpferisch für die „Gleichberechtigung“ bei deren Besteuerung ein. Zwischen „Parterre- oder Unterhaushunden und Etagenhunden“ sollte nicht mehr differenziert werden.
Und schließlich das liebe Geld. Die Nachkriegszeit brachte den Kommunen neue finanzielle Anforderungen, die sie kaum stemmen konnten. Damals endete das Haushaltsjahr am 31.März. Für das Jahr 1920/21 waren 61 Millionen Mark angesetzt worden. Doch die Inflation machte jede Rechnerei zunichte. Bereits 1922/23 reichten 273 Millionen Mark nicht mehr aus. Der Nachtragshaushalt am 3. November belief sich schon auf 444 Millionen Mark. Ab da an wurde nur noch in Billionen gerechnet.