Juristische Laufbahn, aber keine Lust auf Anzug und Krawatte

Der Ermittlungsrichter Wolfgang Thielen ist seit 1. August Pensionär. Noch immer ruft die Polizei bei ihm an.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Wenn er aus seinem Gartentor am westlichen Stadtrand Krefelds tritt, blickt Wolfgang Thielen auf übermannshohen Mais auf der anderen Straßenseite. „Das ist schon St. Tönis“, sagt der vor wenigen Tagen pensionierte Ermittlungsrichter. Dass der 65-Jährige nicht mehr im Dienst ist, hat sich noch nicht bei allen Polizeibeamten herumgesprochen. „Manche rufen immer noch an und möchten zügig Beschlüsse von mir“, lacht Thielen, der sich „wie im Urlaub“ fühlt.

38 Jahre lang war er in Diensten des Krefelder Amtsgerichts. Nur anderthalb Jahre lang hat er sich mit Zivilklagen herumgeschlagen, der große Rest seines Arbeitslebens bestand aus Strafrecht. „Eigentlich wollte ich nie eine Stelle als aufsichtsführender Richter. Ich hatte keine Lust auf das Oberlandesgericht in Düsseldorf, wo man mit Anzug und Krawatte herumläuft.“ Irgendwie hat er die Aufsichtsposition dann aber doch bekommen, als Leiter der Strafabteilung am Amtsgericht.

Nach dreijähriger Tätigkeit als Ermittlungs- und Haftrichter in den 80er Jahren übernahm Wolfgang Thielen 1986 den Vorsitz des Schöffengerichtes. 2001 war dann unverhofft Schluss: Ein Kollege gab dem Befangenheitsantrag eines Verteidigers in einem langwierigen Prozess um ein in Flammen aufgegangenes Betriebsgebäude statt. „Weil ich in der Hauptverhandlung den Hinweis erteilte, dass es sich auch um eine Brandstiftung mit Personenschaden handeln könnte."

Anfangs habe er sich geärgert, dann aber festgestellt, dass ihm der Kollege mit dem Ausschluss aus dem Verfahren den Weg zurück ins Büro des Ermittlungsrichters geebnet hatte.

Diebe, Räuber, Mörder — sie alle haben in den 17 Jahren der Haft- und Ermittlungsrichterzeit vor Thielen gesessen, begleitet von vorführenden Polizeibeamten. Ein 70 Jahre alter Spielhallenräuber mit langer Vorstrafenliste hat dabei mehr Eindruck auf ihn gemacht als beispielsweise der „total unauffällige“ Mann, der in Grefrath den kleinen Mirco umgebracht hat.

Auch der 70-Jährige wollte sich partout nicht zum Tatvorwurf äußern. Thielen: „Dann habe ich ihn gefragt: ,Warum tun Sie sich in diesem Alter das noch an?'" Daraufhin habe der Räuber spontan geantwortet: „Das kann ich auch nicht verstehen“. Dieses Fast-Geständnis hat Thielen nicht verwertet. Verurteilt wurde der Mann dennoch — aufgrund der erdrückenden Beweise und einem späten Geständnis.

Seine „Kunden“ hat Haftrichter Thielen in der Regel mit Handschlag verabschiedet, denn: „Auch die übelsten Typen wollen menschlich behandelt werden. Als junger Richter macht man so was natürlich nicht“.

Mit den vereinten Kräften der begleitenden Polizeibeamten stürzte sich Thielen auf einen Vorgeführten, der sich urplötzlich mit einer versteckten Teppichmesserklinge am Hals und am Arm verletzte: „Ich habe ihn dann noch verbunden."

Unvergessen bleibt dem Pensionär das Spiel der deutschen Mannschaft gegen Ghana bei der Fußball-WM in Südafrika. „Ich wollte das Spiel in einer Kneipe in St. Tönis sehen.“ Just in dieser Zeit aber kam einem Erpresser die Idee, die Polizei zu verschiedenen Geldübergabestellen in Nordrhein-Westfalen und Bremen zu hetzen. Dreimal wechselte er dabei das Handy, jeweils mit anderem Mobilfunkanbieter. „So musste ich während des Spiels dreimal zum Amtsgericht fahren, um zur Standortermittlung des Anrufers die erforderlichen Beschlüsse mit Dienstsiegel zu den Anbietern zu faxen." Das, meint Thielen, mache auch nicht jeder Richter.

Heikles Thema ist häufig die Freigabe von Fahndungsfotos. Zweimal wurden Bilder von Kameras an Geldautomaten veröffentlicht, die harmlose Sparkassenkunden anstelle der tatsächlichen Scheckkartenbetrüger zeigten. „Dass das die Falschen sein könnten, hätte ich nie gedacht“, so Thielen. Wenn solche Fehler passierten, sei das natürlich sehr peinlich. Aber: „Das ist nicht genau geregelt. Es bleibt Richterrecht.“

Einer seiner letzten „Kunden“ ließ Haftrichter Wolfgang Thielen lauthals loslachen. Auf die Frage, wer sein Anwalt sei, bekam er die Antwort: ,Herr Lindemann aus Wuppertal’“. Anders als die begleitenden Polizeibeamten musste Thielen nämlich sofort an Loriots „Der Lottogewinner“ denken. Der Rentner und Gewinner Erwin Lindemann verhaspelt sich beim Fernsehinterview und erklärt schließlich, dass seine Tochter und der Papst gemeinsam eine Boutique in Wuppertal eröffnen würden.

Nach dem Gespräch mit der WZ hält sich Wolfgang Thielen den Rücken. „Ich helfe gerade meinen beiden Töchtern bei Umbauten. Und bei Bekannten einer Tochter habe ich eine Wand eingerissen.“ An seinem eigenen Heim, einer ehemaligen Knecht-Unterkunft eines Bauern, hat Thielen mit seiner Frau Heidi über 25 Jahre lang gewerkelt. „Handwerker wäre für mich auch ein Beruf gewesen.“