Wenn Phantome schunkeln
Weltstar Deborah Sasson singt im Seidenweberhaus – ausgerechnet als junges Chormädchen.
Krefeld. Wer "Das Phantom der Oper" inszeniert, muss sich mit Andrew Lloyd Webber messen. Der Vergleich mit dem Kult-Musical des britischen Komponisten ist unausweichlich. Mehr als 100 Millionen Zuschauer hat es bisher angezogen, Publikum und Kritiker sind sich weitgehend einig, dass Webbers "Phantom" ein Meilenstein des Genres ist.
"Wer bei uns eine Webber-Fassung erwartet, der ist hier falsch", stellte Deborah Sasson deshalb vorab im Gespräch mit der Presse klar. Sie ist der Star des 58 Köpfe zählenden Ensembles um Regisseur Joachim Sautter, das am Samstag im Seidenweberhaus eine eigene Musical-Adaption des weltberühmten Klassikers von Gaston Leroux präsentierte.
Die Neuinszenierung hält sich dicht am Originalroman, besticht durch eingeflochtene Opernwerke und Stücke des BBC-Komponisten Peter Moss, der vor Ort das 20-köpfige Orchester dirigiert. Das aufwändige Bühnenbild mittels Stereoprojektionen versetzt das Publikum in die prunkvolle Opéra National de Paris.
Mit der Sopranistin Deborah Sasson hat man einen Weltstar engagiert. Eine derart reife Stimme für das unbedarfte Chormädchen Christine ruft Zweifel an der Glaubwürdigkeit hervor - selbst dann, wenn dieses wie durch ein Wunder über Nacht zur gefeierten Diva avanciert.
Keine Frage, hier hat das Phantom der Oper seine Finger im Spiel, schließlich ist der Mann mit der zwiegespaltenen Seele unsterblich in Christine verliebt. Für sie wird er zum Mentor und Förderer, der "Engel der Musik" komponiert für Christine sogar eine eigene Oper.
Die Zerrissenheit zwischen Engel und Teufel gelingt Axel Olzinger in der Rolle des Phantoms ausgezeichnet. Der Darsteller, der auch als Graf von Krolock in "Tanz der Vampire", in "Grease" und "Chicago" brillierte, hat etwas Unheimliches an sich, wenn er schwankt zwischen Schmeichelei, Liebesgeflüster, zornigem Imperativ und psychopathischen Drohgebärden. Auch Graf Raoul de Chagny (Joachim Sautter) liebt Christine. Sie muss sich entscheiden zwischen Karriere und Liebe - am Ende siegt die Liebe über alle Konflikte.
Auch eine Krefelderin spielt im Stück mit: Julia Dietsch als Madame Sorelli wuchs in Krefeld auf und sammelte hier erste Theatererfahrungen, ehe es sie nach Osnabrück an die German Musical Academy zog.
Mit Slapstick-Komik würzt Nils Schwarzenberg das Stück in einer Nebenrolle. Den kleinen Finger abgespreizt, einen Fächer in der anderen Hand, spielt er erfrischend komisch den Operndirektor Moncharmin.
Der Kontrast zwischen klassischen Opernwerken, unter anderem aus "La Traviata" und Puccinis "O mio babbino caro", und den Eigenkompositionen von Peter Moss ist extrem. Leider verlieren sich letztere einen Tick zu sehr in Schunkelrhythmen.
Die Sasson überzeugt vor allem bei den klassischen Arien. Zum Schluss gibt sie mit Bizets "Habanera" aus "Carmen" eine ungeforderte Zugabe, die nicht passender für sie sein könnte. Nach dem Auftritt geht es weiter zum nächsten Spielort. Bis Montag wird die Tourneeproduktion noch zu sehen sein, dann blickt man auf 60 Aufführungen zurück - jeden Tag in einer anderen Stadt, auf einer anderen Bühne.