Michael Okroy: „Wuppertal braucht das Schauspielhaus“
Der Autor befürchtet, dass die Stadt ein kulturelles Wahrzeichen verliert – und erinnert an die große Theater-Tradition.
Herr Okroy, wenn die Sparpläne umgesetzt werden, wird das Schauspielhaus geschlossen. Die Diskussion darüber, ob und wie viel Kultur eine Stadt braucht, ist die eine Sache. Die andere ist das Gebäude selbst. Was würde Wuppertal architektonisch verlieren?
Michael Okroy: Das Schauspielhaus gehört zu den herausragenden Fixpunkten einer kulturellen Identität in dieser Stadt. Es würde eine schmerzliche Lücke entstehen . Ein kulturelles Wahrzeichen Wuppertals ginge verloren.
Okroy: Architektonisch setzt es einen gewichtigen städtebaulichen Akzent. Und das an einem damals ziemlich hässlichen Ort, eingekeilt zwischen urbanen Verkehrsströmen, inmitten einer Industriebrache. Das Gebäude selbst war ein grandioser Wurf. Durch die lichten Foyers, die japanischen Gärten und den arenaförmigen Zuschauerraum ohne Ränge und Logen entstand eine offene und gewissermaßen "demokratische" Atmosphäre. Neu war in den 1960er Jahren auch, dass die kühn konstruierten Treppenaufgänge direkt und ohne Umwege in den großen Saal führten. Das Schauspielhaus wirkte von Anfang an sehr einladend und offen für das Publikum.
Okroy: Es wird ja nicht zum ersten Mal über eine Schließung gesprochen. Ich war deshalb nicht ganz überrascht, bin aber entsetzt. Man weiß aus Erfahrung: Was einmal weg ist, kommt nicht wieder. Nicht nur künstlerisch, auch kulturgeschichtlich steht einiges auf dem Spiel.
Okroy: Das Wuppertaler Schauspielhaus steht für eine ungemein lebendige und aufwühlende Epoche. Es ist entstanden in einer Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche, der Rebellion und der künstlerischen Experimente. An all dem haben die Menschen, die dieses Haus mit Leben gefüllt haben, engagiert teilgenommen: die Theaterleitung, die Künstler, das Publikum.
Okroy: Schon die Eröffnung war ein Paukenschlag. Heinrich Bölls ziemlich unfestliche Festrede über die "Freiheit der Kunst" provozierte enorm. Mit scharfen Worten kritisierte er vor den geladenen Gästen, darunter Bundespräsident Lübke, Gesellschaft, Staat und Kirche. Er wünschte, dass auf Wuppertals Bühne auch "zu weit gegangen werden wird". Das Schauspielhaus war deshalb schnell in aller Munde - in ganz Deutschland. Unter Generalintendant Arno Wüstenhöfer entwickelte sich das Haus zu einem der interessantesten Sprechtheatern in der Bundesrepublik.
Die ruhmreichen Zeiten sind inzwischen vorbei - auch wenn die neue Intendanz Vollgas gibt und auf ein junges, zeitnahes, ambitioniertes Theaterprogramm setzt.
Okroy: Was ich sehr gut finde - weil man sich damit auf die veränderte Publikumssituation einstellt. Wuppertal braucht das Schauspielhaus als Ort kritischer Selbstreflexion einer Gesellschaft. In den Krisen der Gegenwart bekommt es eine sehr aktuelle Bedeutung. Bevor das Schauspielhaus gebaut wurde, gab es offenbar Architektenpläne für eine integrierte Studiobühne. Aber man wollte damals auf keinen Fall den eingeplanten Etat von 12,5 Millionen D-Mark überschreiten. So wurde auf eine kleine Spielstätte, eine Art Experimentierbühne, verzichtet. Aus heutiger Sicht war das nicht sehr weitsichtig.
Okroy: Im Foyer, ganz klar. Das ist ein wunderbarer Ort. Es führt die Menschen zusammen und lädt zum Flanieren und zur Unterhaltung ein. Das Schauspielhaus zeichnet sich durch klare und funktionale Linien aus. Aber es ist alles andere als kühl. Es hat eine schöne, anspruchsvolle, dem Publikum zugewandte Ästhetik. So ein Gebäude atmet. Im Foyer spürt man das ganz besonders.