Stadtteilspaziergänge (5): Zwischen Allee und Höhe
Die Friedrich-Engels-Allee ist geprägt von Industrie und Wohnen — und befindet sich mitten im Strukturwandel.
Unterbarmen. Heinz-Willi Riedesel traute seinen Augen nicht — damals, als berühmte Unterbarmer, wie die Choreografin Pina Bausch oder der Industrielle Kurt Herberts zum ersten Mal seinen Rat in Sachen Brillenmode einholten. Das traditionsreiche Augenoptikergeschäft an der Friedrich-Engels-Allee übernahm Heinz-Willi Riedesel Anfang der 60er Jahre — und seither wohnt er auch an der „Allee“.
Und der Boulevard ist das Herzstück des Stadtteils, der einst durch die florierende Textilindustrie zu Wohlstand kam. Klassizistische Prachtbauten, stuckverzierte Fassaden und im Vergleich niedrige Fachwerkhäuser der früheren Arbeiter aus dem 19. Jahrhundert säumen die Allee, die nach dem großen Sohn der Stadt, Friedrich Engels, benannt ist und dessen Familiengeschichte im Engelshaus veranschaulicht wird — hier findet das gesellschaftliche Leben im Stadtteil statt.
Wenn man so will, ist die Friedrich-Engels-Allee der Ersatz für den fehlenden Ortskern oder zentralen Platz im Stadtteil — und gleichzeitig ein Beispiel für das Erscheinungsbild Unterbarmens. Eines, das von einer spannungsreichen Vergangenheit zwischen bürgerlichem Wohlstand und Industrieproletariat erzählt — und wo Strukturwandel heute in neuen Investitionen sichtbar wird.
Unterbarmen sei wie ein Dorf und er würde von dort „niemals wegziehen“, sagt Riedesel, der sich als Einzelhändler und als Vorstandsmitglied im Bürgerverein für den Stadtteil engagiert. Eine Unterbarmer Mentalität kann er nicht ausfindig machen: In den verschiedenen Quartieren hätten die Bewohner ihre Eigenheiten bewahrt.
Es scheint, als ob sich vor allem Künstler und Kreative in Unterbarmen wohlfühlen: Tony Cragg und sein Skulpturenpark zum Beispiel, oder seine Ehefrau Tatjana, die ihr Atelier an der „Allee“ hat — ebenso wie Ulle Hees. Daneben gibt es viele Grafikbüros wie auch die Galerie Epikur. Davon abgesehen, hat die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft in den Haspelhäusern ihr Zuhause.
Ein Trend: In den alten Industriebauten siedeln sich junge Start-Ups neben mittelständischen Unternehmen und großen Firmen, wie etwa Sachsenröder, an. Einen Vorteil sehen die Unterbarmer auch in der Verkehrsanbindung und der guten Nahversorgung. Und natürlich ist auch das Vereinsleben stark ausgeprägt, vom Schach bis zum Billard. Der traditionsreiche TV Friesen ist die Nummer Eins im Breitensport.
„Das Schöne an Unterbarmen ist, dass es soviel Natur gibt“, sagt Riedesel. Wenn er Zeit hat, lässt er das ach so Städtische hinter sich und spaziert durch die Straßen des Stadtteils: Über den Unterbarmer Friedhof mit den imposanten Grabstätten, wie etwa das Mausoleum der Industriellenfamilie Toelle.
Vorbei am Sportplatz an der Oberbergischen Straße, wo Wuppertals Leichtathleten zu Hause sind und zuweilen die erste Mannschaft des WSV ihr Training absolviert, und dem Elternhaus des berühmten Zeitzeugen Hermann Enters im Böckmannsbusch in den Kothener Wald, führt der Spaziergang Riedesel bis zu seinen Kleingarten mit Panorama-Blick übers Tal. Spaziergänger und Naturliebhaber haben die Wahl: Da gibt es den Kothener Wald, ein idealer Startpunkt für die K-Wege auf der einen, und die Hardt und der Botanische Garten auf der anderen Seite.
Was man an Unterbarmen bemängeln könnte, wäre die Tatsache, dass der Standortvorteil, die Wupper mit ihren Ufer-Zugängen, nicht ins städtische Leben eingebunden wird und die dicht bebaute Friedrich-Engels-Allee mit 40 000 Autos pro Tag stark befahren ist.
Heinz-Willi Riedesel betont aber: „Ein Besuch bei uns lohnt sich.“ Folgt der Besucher den blauen Schildchen der Textil- und Architekturroute an den Fassaden, so fällt die Orientierung nicht schwer. „Unterbarmen ist ein Stadtteil des Versteckten — der Hinterhöfe und der Seitenstraßen.“