Ein Hauch zu viel Harmonie im Dschungelcamp?

Berlin (dpa) - Der größte Aufreger in der Dschungelshow 2015? Da muss der eingefleischte Dauergucker des alljährlichen RTL-Spektakels „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!“ schon einmal richtig im Gedächtnis kramen.

Foto: dpa

Klar, als sich Walter Freiwald (60) vor dem Toilettenhäuschen vor laufender Kamera mit heruntergelassener Hose stammelnd nach Toilettenpapier erkundigte, war so ein Moment des Fremdschämens. Aber sonst? Der richtige Hammer fehlte bis kurz vorm Finale der neunten Staffel, die an diesem Samstag (22.15 Uhr) endet.

Im Rennen um den Titel des „Dschungelkönigs“ waren am Freitag noch Ex-„Germany's Next Topmodel“-Juror Rolf Scheider (58), das Castingsternchen Tanja Tischewitsch (25), die ehemalige „Glücksrad“-Buchstabenfee Maren Gilzer (54) und „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“-Darsteller Jörn Schlönvoigt (28). Das Feld sollte sich am Freitagabend mit dem letzten Rauswurf noch verengen.

Auffällig ist die Bewegung in den sozialen Netzwerken: Gleich am ersten Tag, als der ehemalige Teleshopping-Verkäufer Freiwald TV-gerecht nach der Bekanntschaft mit einer Qualle vor Schmerzen jammerte, registrierte das Netz mit gut 75 000 Tweets auf Twitter rund zwei Drittel mehr Kurznachrichten als 2014 zum selben Zeitpunkt, als die Fans in etwa 45 000 Tweets ihren Senf zum Dschungel dazugaben. Danach sanken die Werte jedoch abrupt, stellte die Mediagentur MediaCom aus Düsseldorf fest, die für die werbetreibende Industrie die Zuschauerresonanzen analysiert.

„Die Zuschauer langweilen sich vorm TV“, resümierten die Mediaforscher. Sie beobachteten, dass seit dem Sonntag nach dem Start des Dschungelcamps in Australiens am 16. Januar mit seinen elf Kandidaten immer mehr Twitter-Nutzer die Begriffe „Langeweile“ und „langweilig“ verwendeten. „Wir verpflichten die Stars, bringen sie ins Camp und sind dann selber gespannt, was sich entwickelt“, sagte der zuständige RTL-Bereichsleiter, Markus Küttner, der Deutschen Presse-Agentur. „Dass Konflikte spannender sind als harmonisches Beisammensein, steht außer Frage, aber das Risiko müssen wir eingehen. Wir hatten auch bei früheren Staffeln sehr harmonische Promi-Gruppen im Camp. Die 5. Staffel, bei der es in Folge 11 zwischen Sarah und Jay eskaliert ist, war bis zu diesem Zeitpunkt auch eher konflikt- und spannungsarm.“

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Doch auch das Verhalten der TV-Zuschauer ist ein Spiegelbild der Entwicklung: Zwar ist der Einschaltimpuls auf gutem Niveau nach wie vor konstant - jede Folge hat nahezu 6,5 Millionen Zuschauer -, aber: Im Vergleich zum Vorjahr fehlen knapp 1,5 Millionen Interessierte pro Folge. Vor allem jüngere Zuschauer, die das Privat-TV für besonders wichtig erachtet, sind abhandengekommen. „Mit den Quoten der aktuellen Staffel sind wir sehr zufrieden“, entgegnet Küttner. „Kein anderes Show-Format versammelt über zwei Wochen konstant so viele Zuschauer vor dem Fernseher.“

Aber auch die Dschungelshow-Bewohner in Australien scheinen zu merken, dass eine gewisse Monotonie herrscht. Die Schauspielerin Rebecca Siemoneit-Barum (37) sprach am Mittwoch nach ihrem Ausscheiden vom „Harmoniecamp“. Das liege daran, dass sich alle so gut verstünden. RTL könne indes noch froh sein, dass mit Walter Freiwald jemand im Camp war, der zu polarisieren verstand und damit Action brachte.

Aber - und das unterscheidet den Grantler, der sich als Bundespräsidentschaftskandidat positionieren wollte und am Mittwoch prompt vom RTL-Wahlvolk hinausgeworfen wurde, von bisherigen Dschungel-Fieslingen - er suchte nicht den offenen Streit. Wenn er sich zu beklagen hatte, tat er das am Dschungeltelefon, wenn die anderen Kandidaten nicht mithören konnten, so Siemoneit-Barum.

Dennoch: RTL hat es geschafft, den Dschungel mitten in Europa zu etablieren. Denn einst spaltete die Sendung die Nation, laut wurde öffentlich über Sinn und Unsinn des Maden- und Kamelpenisfressens gestritten, heute ist der RTL-Dschungel eine der letzten Bastionen des renommierten klassischen Unterhaltungsfernsehens. Selbst die Appelle der Tierrechtler, die den Schutz der traumatisierten Echsen, Krokodile und Schlangen einfordern, verhallen ohne Wirkung. Nackte, ungeschützte Oberkörper der mehr oder minder prominenten Mitspielerinnen geben immer noch zu etwas mehr Gerede Anlass.

Kommerziell darf RTL das Dschungelcamp als Erfolg verbuchen, denn die Werbeinseln sind voll, die Show animiert, wie die Marktanteile vor allem zu späterer Stunde aufweisen, so viele Zuschauer vor den Fernsehern wie sonst keine andere mehr nach dem Ende von „Wetten, dass..?“ beim ZDF. Dass der Erfolg dazu verleitet, ähnliche Formate aus dem Boden zu stampfen, unterstreichen laut „Bild“-Zeitung die neuesten Überlegungen, die aus dem Hause RTL bekanntwurden: Ein Sommer-Camp mit lauter kaum noch bekannten Promis, die sich für den Winter-Dschungel erst qualifizieren müssen. Doch dazu will sich RTL noch nicht äußern. Die Spannung muss gewahrt bleiben.

Eines ist aber ziemlich sicher: „Wir gehen schon davon aus, dass es auch 2016 "Ich bin ein Star — Holt mich hier raus!" bei RTL geben wird“, sagt Küttner.