70 Jahre NRW Torwart Wolfgang Kleff: „Fußball ist einfach, keine Wissenschaft“
Wolfgang Kleff gehört zu der Generation, die noch auf der Straße und auf der Wiese gekickt hat. Seine große Zeit erlebte der Torwart bei Borussia Mönchengladbach.
Mönchengladbach. Sie erkennen ihn alle, die Gäste im Borussia-Park zu Mönchengladbach. Und alle duzen ihn in dieser fußballverrückten Stadt. „Hallo, Wolfgang“ - der Mann war immerhin 244 Bundesligaspiele ohne Unterbrechung ihr Torwächter. Und dem kleinen Simon, der artig nach einem Autogramm fragt, schreibt er in sein Fußballbuch: „Von Wolfgang Kleff.“ Ohne die heute üblichen Genie-Kringel. „Der Junge soll lesen können, wen er da getroffen hat.“
Wenn es um Kinder geht, strahlt der Fußball-Oldie. Zwei hat er selbst. Einen Sohn, 36, und eine Tochter, 19. Auf die Frage nach dem besonderen Ereignis, das sich in sein Gedächtnis eingebrannt hat, kommt wie aus der Pistole geschossen der Satz: „Die Geburt meiner Kinder“. Obwohl er beide Ereignisse nicht direkt miterlebt hat. „Beim Sohn war ich Profi in Berlin. Und bei der Tochter war ich gerade mal raus aus dem Kreißsaal, eine rauchen.“
Geboren und aufgewachsen ist Wolfgang Kleff im Ruhrgebiet. Alle spielten Fußball auf der Wiese - die durch den Krieg ihrer Jugend beraubten Väter und Onkel, und die Kinder mittendrin. Vater Kleff nahm seinen Junior mit zum VfL Schwerte, wo er Jugendleiter war. Weil Wolfgang Mut und Talent hatte, spielte er als Jugendlicher und als Senior gleichzeitig in zwei Mannschaften: in einer im Tor, in einer im Feld.
In Schwerte, in einer Fabrik für Eisenketten, machte Kleff eine Lehre als Industriekaufmann. Zweimal im Monat wurde er gefordert — wenn in der Lohnbuchhaltung für 350 Mitarbeiter abgerechnet wurde. Ansonsten schnappte er sich gern eine Aktenmappe, machte ein wichtiges Gesicht und stiefelte durch den Betrieb. „Neun Stunden im Büro sitzen war nicht mein Ding.“
Das änderte sich, als Wolfgang Kleff 1968 nach Mönchengladbach kam. Empfohlen vom westfälischen Verbandstrainer Walter Ochs, zum Probetraining eingeladen von Hennes Weisweiler. 1969 wurde er Stamm-Torhüter der Fohlenelf. Seinen ersten Profi-Trainer schätzt Kleff bis heute: „Ein polternder, aber ehrlicher Kölscher. Wenn du einen Fehler gemacht hast, hat er das im Einzelgespräch geregelt. Motto: Du hast dir das Recht erarbeitet, auch mal einen Fehler zu machen.“
Nordrhein-Westfalen — wo verortet sich Kleff heute, mit demnächst 70 Jahren? „In Schwerte habe ich letztens noch einen Kumpel getroffen, mit dem ich in der A-Jugend gespielt habe. Aber ansonsten kenne ich da immer weniger Leute. Mönchengladbach ist meine Heimat geworden.“
Was denn nun, Westfale oder Rheinländer? Wolfgang Kleff sagt, als wir uns zum Gespräch verabreden: „Aber nicht so früh am Morgen, ich bin mehr ein mediterraner Typ.“ Dann, beim Mittagsimbiss: „Ich habe das Gemüt eines Rheinländers — ich habe lieber Freude als Ärger. Manchmal kommt bei mir auch der Westfale durch — etwas schwer, etwas stur. Aber ein Sauerländer bin ich nicht.“
Der Mann, der gern einen lockeren Spruch herauslässt und wegen seiner Ähnlichkeit mit Spaßmacher Otto Waalkes am Bökelberg „Otto“ gerufen wurde, kommt gut gebräunt daher. Urlaub in Spanien oder Italien? „Nein, der Schmölderpark in Rheydt. Da kann ich gemütlich zu Fuß hingehen, da habe ich meine Bank im Grünen und tue das, was ich als Kind schon gern getan habe: Ich sitze in der Sonne und vertiefe mich in ein Buch. Zur Zeit beschäftigt mich das Mittelalter.“
Fußball ist und bleibt das Leben des rheinischen Westfalen. Sein Wissen und Können gibt er gern ehrenamtlich an Kinder weiter: „Die sind lernbegierig und dankbar.
Seine aktive Zeit und den Fußball heutzutage zu vergleichen, fällt ihm schwer. „Das Spiel ist ungleich schneller geworden, aber nicht mehr so kreativ wie damals.“ Kleffs Philosophie: „Fußball ist eins der fehlerhaftesten Spiele, die es gibt. Tore entstehen durch Fehler. Aber Fußball ist auch ein einfaches Spiel und keine Wissenschaft.“ Was Wolfgang Kleff damit meint: „Da kommen die Trainer mit ihrer Taktik-Tafel und wollen den Spieler programmieren, als wäre er ein Roboter. Aber auf dem Spielfeld hat der Spieler nur zwei Augen. Und wenn er aufs Tor zurennt, einen Tunnelblick.“