Der Brexit und die Folgen IW-Chef Hüther zum Brexit-Votum: "Das Wachstum wird sich verlangsamen"
Köln. IW-Chef Hüther sieht ökonomische Folgen auch für Deutschland Nach Einschätzung von Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), wird es durch den Brexit zu einem geringeren Wachstum im EU-Raum kommen, Mit dem Ökonom sprach unser Korrespondent Stefan Vetter: F: Herr Hüther, ein schwarzer Tag für die Wirtschaft?
A: Ein schwarzer Tag für Europa. Der Kontinent wird in der Welt künftig weniger Einfluss haben. Und das hat natürlich auch wirtschaftliche Konsequenzen. Das Wachstum wird sich verlangsamen. Immerhin 20 Prozent des Bruttosozialprodukts der EU entfallen auf Großbritannien. Die sind dann außen vor.
F: Wer wird am meisten für den Brexit zahlen?
A: Sicher die Briten. Nach unseren Berechnungen muss sich die Insel auf einen nachhaltigen Einbruch ihres Bruttosozialprodukts um zehn Prozent einstellen. Das ist schon happig.
F: Und die deutsche Wirtschaft?
A: Großbritannien ist der drittstärkste Nachfrager nach deutschen Produkten. Daran wird sich vielleicht kurzfristig nicht so viel ändern. Aber eine Schwächung der Nachfrage ist unausweichlich. Und das wird auch die deutsche Exportwirtschaft merken. Ein positiver Umstand für uns ist, dass wir Produkte wie Autos oder Maschinen liefern, auf die Großbritannien angewiesen ist. Auch zeigt das Beispiel China, dass Deutschland trotz nachlassender Dynamik auf dem asiatischen Markt in der Lage ist, sein Exportvolumen zu steigern.
F: 2500 deutsche Unternehmen haben Niederlassungen in Großbritannien. Was passiert mit denen?
A: Wenn der Markt dort an Attraktivität verliert, sind Rückverlagerungen nach Deutschland nicht ausgeschlossen.
F: Das heißt, Deutschland könnte auch vom Brexit profitieren?
A: Es gibt die begründete Erwartung, dass der Finanzplatz London an Bedeutung verliert und Frankfurt am Main als Sitz der Europäischen Zentralbank und der deutschen Börse aufgewertet wird. Man muss auch sehen, dass der Londoner Finanzplatz eine Brückenfunktion zu den USA hat. Auch das könnte für Frankfurt am Main eine neue Perspektive sein.
F: Großbritannien ist Nettozahler in der EU. Muss Deutschland am Ende womöglich mehr abführen, um die Lücke zu schließen?
A: Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn ein großer Zahler austritt, dann muss auch der EU-Haushalt völlig neu justiert werden. Da wird man viel Mut brauchen, besonders gegenüber den Nehmerländern. Denn so wie bislang kann es mit den Zahlungsströmen nicht mehr weiter gehen.
F: Was erwarten Sie von der Politik im Hinblick auf die Verhandlungen zur wirtschaftlichen Entflechtung zwischen Großbritannien und der EU?
A: 60 Prozent der britischen Exporte gehen in die EU und in Länder, mit denen die EU Außenhandelsabkommen hat. So betrachtet ist die EU in einer besseren Verhandlungslage als die Briten. London braucht eine Ersatzlösung für die mehr als 30 Außenhandelsabkommen, die namens der EU für Großbritannien mitverhandelt wurden. Diese Abkommen sind dann obsolet. Das wird für die Briten eine Herkulesaufgabe, wollen sie nicht in ein noch tieferes Loch fallen, als sie es sich jetzt schon gegraben haben.
F: Können die Briten dabei auf Sonderkonditionen hoffen?
A: Es darf keine Extrawürste geben, denn dann würden sich womöglich auch andere EU-Länder einen schlanken Fuß machen. Das wäre das schleichende Ende der Europäischen Union.