Erben — ein heikles Thema
Offene Gespräche sind im Umgang mit Testamenten wichtig, auch für den Frieden in der Familie.
Düsseldorf. „Ich hätte gern dein Haus“ oder „Sag mal, was möchtest du gern von mir erben?“ — offene Gespräche über das Erbe sind selten in Familien. Häufig wird der Nachlass erst nach dem Tod geregelt, und das kann zu großen Streitigkeiten führen, ganze Familien trennen. Dass nur rund 25 Prozent der Deutschen ein Testament haben, trägt mit dazu bei. Die Folge: Familiengerichte und Mediatoren (Vermittler) haben viel zu tun.
„Tod und Sterben sind in der heutigen Gesellschaft Tabuthemen“, sagt der Psychologe Kai Jonas, der mit seinem Vater das Buch „Konfliktfrei vererben. Ein Ratgeber für eine verantwortungsbewusste Erbgestaltung“ (Hogrefe-Verlag/16,95 Euro) geschrieben hat. Der Jugendlichkeitswahn verdränge den Tod immer mehr. „Es gibt auch 80-Jährige, die ihren Nachlass noch nicht geregelt haben, und meinen, das hätte doch noch viel Zeit.“ Aber wenn nicht mit 80, wann dann soll man das Erbe regeln, fragt der Psychologe.
„Familien sind konsensorientierte Systeme“, sagt Arist von Schlippe, Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen. Der Psychologe erklärt, dass kritische Punkte nicht angesprochen werden. „Der Tod und das Erbe stören diesen Konsens. Damit kommt auch eine neue Kommunikationsqualität in die Familie.“ Es müssen Entscheidungen getroffen werden.
Klar ist aber auch: Niemand hat ein Recht auf ein Erbe, abgesehen vom gesetzlichen Pflichtteil. Niemand muss verraten, wem er was vererbt. „Manche haben Schwierigkeiten, die Konsequenzen der eigenen Entscheidung zu tragen“, sagt von Schlippe. Es sei aber ratsam, das Gespräch zu suchen, um Klarheit zu schaffen. Wichtig sei, so Jonas, dass man einen speziellen Termin anberaumt und nicht spontan während des Geburtstags oder einer anderen Familienfeier über das Testament spricht. „Solche Gespräche sind nicht einfach und nicht stressfrei, weil man Unangenehmes anspricht, aber das muss man Familien zutrauen“, sagt von Schlippe. Wenn das nicht gelingt, können spezialisierte Mediatoren helfen.
Jonas sieht noch die Möglichkeit, eine Vertrauensperson oder einen Pfarrer hinzuzuziehen. „Es muss ein Familiendialog stattfinden. Und auch die Kinder müssen sich positionieren können.“ Eine Bestrafung, einem Kind weniger zu vererben, etwa weil es nicht die Lebensweise der Eltern übernimmt, sei eine schlechte nachträgliche Erziehungsmaßnahme. „Ein verspätetes Taschengeldkürzen.“
Ein wichtiger Punkt ist laut von Schlippe das Gerechtigkeitsempfinden. „Es darf keine falschen Vorstellungen darüber geben, was ich bekomme.“ Wie stehe ich im Vergleich zu meinen Geschwistern da? Das ist eine zentrale Frage für Menschen.
Von Schlippe nennt ein reales Beispiel: Zwei Brüder haben je zehn Millionen Euro bekommen, der eine hat aber noch dazu ein drei Jahre altes Auto, das noch nicht abgeschrieben war, erhalten. „Das hat den einen Bruder sauer gemacht. Die hätten sich wegen des Autos beinahe in den Ruin getrieben.“
Eltern müssen eine ungleiche Verteilung transparent machen, sonst riskieren sie, dass sich die Kinder nach der Testamentseröffnung verkrachen. „Jeder führt sein eigenes Gerechtigkeitskonto. Das ist subjektiv.“ Pflege ein Kind die Eltern und bekomme dafür mehr vom Erbe, müsse das klar an alle kommuniziert werden.
Ein ganz wichtiger Punkt sei beim Erbe generell, das Immaterielle nicht zu vernachlässigen. „Der Deutsche denkt beim Thema Erben oft daran, wie er Steuern sparen kann — und nicht, was er hinterlassen möchte“, kritisiert Jonas. Das sei der falsche Ansatz. „Denn es geht nicht ums Geld.“
Der Erblasser solle sich darüber Gedanken machen, wer er ist und was er dieser Welt hinterlassen wolle. „Wofür steht die Familie? Was soll mit meinem Leben, meinem Vermächtnis, nach mir geschehen? Das sind Punkte, die Gegenstand eines solchen Gesprächs sein sollten“, sagt Jonas.
Doch auch vermeintliche Offenheit kann zu Problemen führen. Arist von Schlippes Vater besitzt einen Siegelring, den er im Lauf seines Lebens jedem seiner Kinder versprochen hat. „Wir Geschwister haben darüber gesprochen und geschmunzelt. Wir haben uns darauf geeinigt, dass sich unser Vater immer neu entscheiden kann. Das ist sein Recht.“ Vertrauen ist in dieser Lage sehr wichtig.
Der Psychologe vergleicht diese Situationen mit der Spieltheorie. „Wenn einer falsch spielt, kann er sich einen Vorteil verschaffen.“ Deshalb sei er ein Freund transparenter Kommunikation, damit es keine geheimen Absprachen einzelner Familienmitglieder gibt.