100 Tage bis Sotschi 2014 - Stadt muss noch ranklotzen

Moskau (dpa) - Bis zum Eröffnungsfeuerwerk der ersten Olympischen Winterspiele unter Palmen bleibt immer weniger Zeit. Der 100-Tage-Countdown in Sotschi am Schwarzen Meer startet am Mittwoch (30. Oktober) im Beisein von Thomas Bach als neuer Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

Die Spannung ist groß, auch weil zuletzt Kremlchef Wladimir Putin den Organisatoren Dampf machen musste. Er erinnerte daran, dass der 7. Februar 2014 als Tag der Eröffnung „unaufschiebbar“ sei. Die Welt schaut schließlich auf Russland und auf seinen sportbegeisterten Präsidenten.

Putin, der erstmals seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion immer wieder große Sportereignisse nach Russland holt, hat ein Ringe-Spektakel der Superlative versprochen. Ein Prestigeprojekt, das nicht nur wegen der historischen Kosten von rund 37,5 Milliarden Euro in die Geschichte eingehen soll.

Doch die Lage auf den Baustellen um die 379 Olympia-Objekte ist bisweilen ernüchternd. Das gigantische Fischt-Stadion mit 45 000 Plätzen, das an stilisierte Schneehügel denken lässt, ist direkt am Meeresufer noch immer nicht startklar. Das Staatsfernsehen kann seine Eröffnungsshow nicht proben.

Eine Armee von 100 000 Arbeitern ist im Einsatz. Aber auch das scheint nicht genug. Jetzt trommelt das Arbeitsministerium in Moskau, um Erwerbslose im ganzen Land zu mobilisieren. 7000 Jobs seien zu vergeben. In den offiziellen Stellen will aber niemand von Problemen sprechen.

Staatsmedien greifen deshalb auch nicht den Dauer-Frust von Tagelöhnern auf, die sich wie Sklaven ausgebeutet und um ihren Lohn betrogen fühlen. Ihrem Ärger über Baulärm, steinigen Dreck auf den Straßen, der ihre Autos beschädigt, sowie über giftige Müllhalden machen Sotschis Einwohner am ehesten in Internetblogs Luft. Zudem kritisiert die Opposition Korruptionsskandale und undurchsichtige öffentliche Ausgaben.

Seit Beginn der Arbeiten reißt auch die Kritik von Menschenrechtlern nicht ab - von den Zwangsumsiedlungen über Umweltzerstörung bis hin zu einer insgesamt zunehmenden Einschränkung persönlicher Freiheiten. Ein Reizthema war hier das Verbot, öffentlich in Gegenwart von Kindern positiv über Homosexualität zu reden. Auf einzelne Aufrufe, deshalb die Winterspiele zu boykottieren, reagierte Russland entsetzt. „Dumm und zynisch“ sei das, meinte Parlamentschef Sergej Naryschkin.

Die vom Kreml gesteuerten Medien berichten vielmehr in glanzvollen Bildern etwa von der Reise des olympischen Feuers durch das größte Land der Erde. Und fast ist es, als sollte der größte Fackellauf der Geschichte - mit Stationen auch am Nordpol und im Weltall - ablenken von dem, was am eigentlichen Austragungsort Sotschi vor sich geht.

Dass es Verzögerungen gebe, sei bei einem Projekt dieser Größe wie Olympia nicht ungewöhnlich, sagte zuletzt auch Putin. „Aber um mit dieser Aufgabe fertig zu werden, müssen wir sehr rhythmisch arbeiten“, betonte er. Der Aufwand für die „kompaktesten Spiele“ ist extrem.

Die gesamte Infrastruktur - am Schwarzen Meer die Eisarenen, 45 Kilometer weiter in der Bergregion Krasnaja Poljana die Wintersportanlagen - entsteht neu. Doch damit nicht genug: Weil hier in den Subtropen die wärmsten Winterspiele aller Zeiten drohen, lagern abgesehen von Hunderten Schneekanonen in Depots tonnenweise Schnee, gesammelt aus den vergangenen Jahren.

Die Rohstoffmacht rechtfertigt all das mit dem Plan, aus der Stadt „ein Schaufenster für das moderne Russland“ zu machen, einen Kurort für das ganze Jahr, nennt es etwa der Chef des Organisationskomitees, Dmitri Tschernyschenko. Sotschi ist auch eine der Spielstätten der Fußball-Weltmeisterschaft 2018.

Wenn sich in wenigen Monaten Delegationen und Sportfans einfinden, werden sie sich wegen der Lage des Spielorts in der Kaukasusregion auch auf schärfste Sicherheitsvorkehrungen einrichten müssen. Russlands Topterrorist Doku Umarow aus dem nahen Konfliktgebiet Nordkaukasus hatte im Juli zu Anschlägen aufgerufen, um die Spiele zu verhindern. Doch Innenministerium und Geheimdienst versprechen sichere Wettkämpfe. Zuletzt warnten unabhängige Geheimdienstexperten, dass es in Sotschi einen Lauschangriff auf Telefone sowie eine totale Überwachung des Internets geben werde.