IOC berät Dopingskandal Ausschluss droht - Thomas Bach und das russische Problem
Lausanne (dpa) - Komplettausschluss oder mildes Urteil - es geht ein tiefer Riss durch die olympische Familie. Die Frage, was im russischen Dopingskandal die angemessene Strafe ist, entzweit Sportler, Trainer und Funktionäre.
Was immer also das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter Leitung ihres deutschen Präsidenten Thomas Bach am Dienstag in Lausanne entscheidet, 66 Tage vor Beginn der Winterspiele in Südkorea wird es eher mehr Zerwürfnisse geben. Denn die bisher diskutierten Szenarien lassen Kettenreaktionen erwarten, die den Spielen vom 9. bis 25. Februar in Pyeongchang so oder so schaden. Für die einen ist der Komplettausschluss der russischen Mannschaft die einzige Antwort auf jahrelanges, systematisches und staatlich gedecktes Doping.
Ein Vorwurf, den die Führung in Moskau hartnäckig leugnet. Für die anderen ist die Kollektivstrafe unfair gegenüber sauberen russischen Athleten und dürfte den sportlichen Wert der Wettkämpfe von Pyeongchang schmälern. Russland ist, wie viel Doping auch immer in den Erfolgen stecken mag, eine Wintersport-Großmacht.
Das russische Problem beschäftigt IOC-Präsident Bach wie ansonsten nur Berichte über gekaufte Spiele und korrupte Funktionäre in den eigenen Reihen. Das IOC konnte bislang seine Glaubwürdigkeitskrise weder eindämmen und schon gar nicht lösen. Seit im Juli 2016, drei Wochen vor den Sommerspielen in Rio de Janeiro, der erste McLaren-Report öffentlich wurde, hat sich das Problem eher verschärft.
Der kanadische Rechtsprofessor Richard McLaren trug im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur bis zum Dezember 2016 in einem zweiten Bericht noch mehr Material zusammen, das ungeheuerliche Machenschaften im russischen Sport illustriert: Mehr als 1000 Athleten sollen zwischen 2011 und 2015 von einem staatlich orchestrierten Dopingsystem profitiert haben.
Besonders ausgeklügelt soll der Betrug rund um die Winterspiele im russischen Sotschi 2014 funktioniert haben. Kronzeuge dafür ist vor allem Grigori Rodschenkow, ehemals Leiter des Moskauer Anti-Dopinglabors, der von ausgetauschten Urinproben und Gespräche über diese Praktiken in höchsten politischen Kreisen zu berichten weiß: Ein glaubwürdiger Zeuge, wie das IOC jüngst befand. Rodschenkow lebt heute an einem unbekannten Ort in den USA, bewacht vom FBI. Russland fordert seine Auslieferung.
Um eine rechtlich gesicherte Basis für die wegweisende Entscheidung zu haben, setzt Bach, der in Rio schonungslose Aufklärung versprach, auf die Ergebnisse der Oswald- und der Schmid-Kommission. Unter Leitung des Schweizer IOC-Mitglied Denis Oswald prüft eine Kommission inzwischen in 36 Fällen einen Dopingverdacht - auch mit extra entwickelten kriminaltechnischen Methoden.
In mehr als 20 Fällen disqualifizierte das IOC russische Sportler, unter ihnen auch Medaillengewinner von Sotschi, und sprach lebenslange Olympia-Sperren aus: Die „forensischen und analytischen Dopinguntersuchungen“ seien eindeutig, so die Oswald-Kommission.
Die Kommission unter Leitung des früheren Schweizer Bundespräsidenten Samuel Schmid hat die Aufgabe herauszufinden, wer in dem von McLaren beschriebenen System welche Verantwortung trug. Der Bericht der Schmid-Kommission wird der IOC-Führung wohl die entscheidende Handhabe für das Strafmaß geben.
Sollte sich zeigen, dass neben Politikern, Funktionären und Geheimdienst auch das Nationale Olympische Komitee Russlands verstrickt war, droht der Komplettausschluss.
Käme es so, ein postwendender Boykott der Pyeongchang-Spiele wäre eine mögliche Antwort aus Moskau - wohl auch für den Fall, dass das IOC symbolische Strafen wie ein Verbot russischer Embleme und des Abspielens der Hymne ausspricht.
Wie auch immer Bach und die IOC-Exekutive entscheiden, am Ende wird wohl wieder der Internationale Sportgerichtshof CAS die Klagen russischer Sportler gegen ihren Ausschluss entscheiden müssen. Wie schon die Spiele von Rio würden auch die von Pyeongchang durch schwer durchschaubare juristische Auseinandersetzungen belastet werden.
Folgt man der Einschätzung des Anwalts Christof Wieschemann, der den gesperrten Skilangläufer Alexander Legkow, Sieger über 50 Kilometer in Sotschi, vertritt, haben die russischen Athleten gute Chancen vor Gericht: „Die Kommission (des IOC) hatte bereits ein Urteil, bevor wir die Tür zum Versammlungsraum öffneten.“
Indes hält der neugewählte DLV-Präsident Jürgen Kessing den Olympia-Ausschluss für alternativlos. „Die Forderung kann nur lauten, die russische Mannschaft von den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang auszuschließen und wie bei der Leichtathletik-WM 2017 in London lediglich die russischen Athleten unter neutraler Flagge antreten zu lassen, die nachweisen können, dass sie sauber sind und nicht Teil des staatlich gelenkten Dopingsystems waren“, erklärte Kessing im Interview der „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“.
Die Systematik des Dopingbetrugs in Russland, nicht zuletzt bei Olympia 2014 in Sotschi, dürfe „natürlich nicht ohne Konsequenzen bleiben“, meinte der Oberbürgermeister der Stadt Bietigheim-Bissingen. Auch für eine mögliche Aufhebung der Sperre für russische Leichtathleten nennt Kessing klare Bedingungen. „Dazu müsste in Russland gelten, was auch bei uns gilt - dass Sportler jederzeit von einer unabhängigen Agentur getestet werden können“, forderte der DLV-Chef. „Und Russland müsste zugeben, dass es ein flächendeckendes Dopingsystem gab. Dafür wäre nur ein Satz von Staatsführer Putin nötig.“