Tristesse allerorts Das Rio-Fiasko: Vergammelnde Stadien, Ladenhüter Olympiadorf

Rio de Janeiro (dpa) - Hier jubelten 15 000 Zuschauer US-Schwimmer Michael Phelps zu, der seine Bilanz auf 23 olympische Goldmedaillen schraubte. Nun verrostet das leere Schwimmbecken im Olympiapark, die kunstvolle Außenhülle des Schwimmstadions ist zerrissen und die Fetzen wehen traurig im Wind.

Die Olympia-Schwimmhalle in Rio de Janeiro verfällt. Foto: Isaac Risco-Rodriguez

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Ein Sinnbild des tristen Rio2016-Erbes. Samstags und sonntags ist der Olympiapark für Besucher geöffnet, eine Pflastersteinwüste mit geschlossenen Arenen. In zwei Stunden sieht man vielleicht ein gutes Dutzend Besucher. Der Ingenieur Andre Araujo (44) wohnt in der Nähe, er besucht mit seinem Sohn erstmals den Park seit Olympia. „Das hier ist alles verwahrlost. Das wird für nichts benutzt“, zeigt er sich ob des schlechten Zustands erschüttert. „Das ist unglaublich traurig, wofür haben wir jetzt diese absurd großen Arenen?“ Eigentlich dürfte man auch in die Schwimmarena nicht rein, aber selbst für ausreichend Wachleute fehlt offensichtlich das Geld.

Der Macher der ersten Olympischen Spiele in Südamerika, der inzwischen abgetretene Bürgermeister Eduardo Paes, hatte betont: „Es wird keine weiße Elefanten geben“. Sprich Stadien, die nach Olympia vor sich hingammeln. Als abschreckende Beispiele zeigte er völlig verwahrloste Stadien und die Kanustrecke in Athen. Er stellte schicke Powerpoint-Präsentationen vor, was aus dem Olympiapark im Stadtteil Barra werden wird. Es sollten mehrere Beachvolleyballfelder auf dem großen Areal entstehen, die Arena Carioca 3 (hier fanden Fechten und Taekwondo statt) in eine Schule für 850 Schüler umgebaut werden - Arenen wie das Velodrome sollten als Leistungssportzentrum genutzt werden. Aber: Es fand sich kein Investor, die Sportstätten fristen ein ungenutztes Dasein, die Pläne sind nur welche auf dem Papier.

Wie pleite am Ende das Organisationskomitee gewesen sein muss, zeigt die Tatsache, dass diverse Kautionen zum Beispiel von Medienunternehmen für die Nutzung der Einrichtungen zum Teil immer noch nicht zurückgezahlt sind. Und der Bundesstaat Rio de Janeiro ist ebenfalls in Turbulenzen, so dass die Lage ausgerechnet dem von Paes als Negativbeispiel genannten Athen gleicht. Eine Stadt, die sich mit den Spielen übernommen hat und in eine tiefe finanzielle Krise gerät.

Die Spiele kosteten rund 39,1 Milliarden Reais (11,5 Mrd Euro) - 58 Prozent davon waren privat finanziert. Paes' großes Vorbild war Barcelona 1992. Wie damals wollte er mit heiteren Spielen, mit großartigen Bildern, einen Touristenboom auslösen - doch Touristen werden derzeit eher abgeschreckt. Die Polizei droht wegen Problemen mit den Gehaltszahlungen mit Streik. Die Zentralregierung schickte in ihrer Not letzte Woche 9000 Soldaten, die nun in Rio patrouillieren.

Ähnlich trostlos wie in Barra ist die Lage im Norden der Stadt, in Deodoro, wo Reiten und Kanuslalom stattfanden. Die Kanustrecke wurde nach Olympia mit viel Brimborium als riesiges Volks-Schwimmbad eröffnet, das ist aber auch seit Monaten zu, es fehlt an Geld für den Unterhalt. Am größten ist das Drama um das Sportsymbol des Landes, das Maracanã-Stadion, wo Deutschland 2014 Fußball-Weltmeister wurde.

Es ist zu, Touristen stehen vor geschlossenen Toren. Drinnen streunen Katzen im Müll herum, tausende Sitze wurden herausgerissen, Fernseher gestohlen, Scheiben sind eingeschlagen, der Rasen ist vertrocknet. Wegen unbezahlter Rechnungen wurde sogar der Strom abgestellt. Das Organisationskomitee von Rio 2016 habe das Maracanã nicht ordnungsgemäß wieder übergeben, kritisiert die Betreibergesellschaft.

Das Stadion ist mehrheitlich in Händen des Baukonzerns Odebrecht. Dieser soll mindestens 785 Millionen US-Dollar an Schmiergeldern in zwölf Ländern gezahlt haben. Odebrecht muss wegen milliardenschwerer Vergleiche sparen und will das Stadion loswerden - aber die wenigen Interessenten pochen darauf, dass erst die Schäden behoben werden.

Allein der stark ausgebaute Nahverkehr mit einer neuen Metrolinie ist ein positives Erbe für die Bürger. Die Post-Olympia-Krise hat nicht nur die einfachen Bürger etwa in den Favalas getroffen, die unter Sparzwängen und deutlich mehr Gewalt zu leiden haben. Nein, auch einen der Reichsten, der eigentlich den großen Reibach machen wollte.

Carlos Carvalho sollen zehn Millionen Quadratmeter Land in Barra gehören, seine Firma baute mit Odebrecht das Olympische Dorf, das anfangs mit verstopften Klos und undichten Wasserleitungen die Delegationen verärgerte. Die „Ilha Pura“ („Reine Insel“) sollte eine Goldgrube werden. 40 Millionen Reais (11,8 Mio. Euro) wurden nach Insiderangaben für die Olympianutzung gezahlt, doch der Verkauf der Wohnungen läuft überhaupt nicht rund, wie ein Treffen vor Ort zeigt.

Einige der 31 Hochhausblöcke sind noch im „Olympia-Modus“, einer ist behängt mit Fahnen des chinesischen Teams, auch Fahnen Venezuelas und Tunesiens sind noch zu sehen. Ein Verkäufer zeigt, wo ein Supermarkt und eine Schule entstehen soll, Kinos, Pools, Fitnessstudios sollen das Leben versüßen. Doch es wirkt mehr wie Schein als Sein: Erst 614 von rund 3000 Wohnungen sind verkauft, die teuersten im Komplex Saint Michel kosten für 160 Quadratmeter 1,77 Millionen Reais (520 000 Euro). Eigentlich war das Ziel bis 2017, dass fast alles verkauft ist. „In Brasilien gab es noch nie so ein Immobilienprojekt wie die Ilha Pura“, schwärmt der Verkäufer. Er gibt sein Bestes - doch selbst hier könnten einige der Hochhausblöcke zu „weißen Elefanten“ werden.

Ein Überblick über die Pläne und den Status Quo.

OLYMPIAPARK:

- Hier soll ein großes Leistungssport- und Schulzentrum entstehen. 60 Prozent des Parks sollen öffentlich genutzt werden, 40 Prozent für Wohnungen und kommerzielle Zwecke. Zudem sollen Beachvolleyballfelder auf dem Areal entstehen, dazu ein Park mit Sportanlagen und Radwegen.

Aktuelle Situation: Passiert ist nichts, der Park ist bis auf das Wochenende geschlossen.

- Carioca 1 (16 000 Plätze; Basketball) soll zurückgebaut werden auf 6500 Plätze und unter anderem für Konzerte und Messen genutzt werden.

- Carioca 2 (10 000 Plätze; Judo, Ringen) soll ein Trainingszentrum für Gewichtheben, Judo, Wrestling und Tischtennis werden.

- Die Arena Carioca 3 (10 000 Plätze; Fechten, Taekwondo) soll in eine Schule für 850 Schüler umgebaut werden.

Aktuelle Situation: In den drei Carioca-Hallen gibt es bisher keine Nachnutzung. Ob die Schulpläne verwirklicht werden, ist unklar.

- Velodrome: Es soll mit seinen 5000 Plätzen erhalten bleiben, bisher gibt es kaum professionelle Sportstätten für Bahnradsport.

Aktuelle Situation: Geschlossen, „Die montieren gerade vieles ab, die Tribünen zum Beispiel“, sagt eine Wachfrau.

- Tennis: Das Stadion für 10 000 Zuschauer und acht Courts sollen erhalten bleiben, hier sollen künftig die Rio Open stattfinden.

Aktuelle Situation: Geschlossen, die Rio Open finden woanders statt.

- Future Arena: Die Handballarena mit Platz für 12 000 Zuschauer soll umgebaut werden in vier öffentliche Schulen.

Aktuelle Situation: Verwahrlost, kein Wachschutz, Zukunft unklar.

- Schwimmstadion: Es soll geteilt werden in zwei Schwimmzentren.

Aktuelle Situation: Die Außenhülle ist zerstört, Fetzen wehen im Wind, der Pool im Innern ist leer und setzt Rost an.

DEODORO:

- Ort für elf olympische und vier paralympische Wettbewerbe - unter anderem Reiten, Schießen, Moderner Fünfkampf, BMX, Mountainbike und Kanu-Slalom. Die Kanu-Slalom-Anlage soll ein See werden, der als Schwimmbad genutzt werden kann. Ein anderer Teil soll als Park mit Sportmöglichkeiten und Grillplätzen genutzt werden, zudem sollen mehrere Rad-Strecken und eine Skate-Anlage entstehen.

Aktuelle Situation: Der öffentliche Badesee wurde geöffnet, aber wegen finanzieller Probleme ist das Areal seit Dezember komplett geschlossen.

MARACANÃ:

- Die Lage im zur Fußball-WM komplett umgebauten Stadion (78 600 Plätze), in dem Eröffnungs- und Schlussfeier stattfanden, ist am dramatischsten. Seit Monaten ist die Arena geschlossen - wegen eines Streits, wer für die zahlreichen Schäden aufzukommen hat. Der Rasen ist vertrocknet, Einbrecher stahlen unter anderem Fernseher, tausende Sitze wurden abmontiert.