Deutscher Schwimmsport: Die Opposition formiert sich
Schwimmern steht ein heißer Herbst bevor. „Ein ,Weiter so’ wird es nicht geben können“, sagt der ehemalige Cheftrainer Ralf Beckmann.
London. Die von „Albatros“ Michael Gross geforderte „Revolution“ im deutschen Schwimmsport nimmt nach dem Debakel in London konkrete Formen an. Ralf Beckmann, lange Jahre Cheftrainer und Sportdirektor im Deutschen Schwimm-Verband (DSV), ist es gewohnt, die Richtung vorzugeben.
Der ehemalige Meisterschwimmer aus Wuppertal steht für die letzte erfolgreiche Phase des DSV. Der 65-jährige Beckmann forderte am Dienstag im Gespräch mit unserer Zeitung: „Das Schwimmen in London war kaum zu ertragen. Ein ,Weiter so’ wird es nicht geben können. Wir werden einen heißen Herbst und heiße Diskussionen erleben. Da müssen auch persönliche Konsequenzen gezogen werden.“
Nach dem medaillenlosen Desaster in London scheint die „Revolution“, die Michael Gross gefordert hat, nicht mehr aufzuhalten. Auch Rainer Wittmann, ehemals Schwimmwart im Verband, will nicht mehr hinnehmen, dass „nach einer Vorstellung wie in London einfach weiter gewurschtelt wird“.
Wittmann hatte sogar die Gründung eines neuen Verbandes angekündigt, falls Konsequenzen im DSV ausbleiben würden. Man könne nicht einfach zusehen, wie ein erfolgreicher deutscher Sportverband in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.
„Von einem neuen Verband will ich noch nicht sprechen, aber es wird Veränderungen geben müssen“, sagt Beckmann, der im November 2005 als Cheftrainer und Sportdirektor zurückgetreten war, nachdem die Trainer im DSV die „Planwirtschaft“ durchdrücken wollten, wie Beckmann das formuliert. „Jeden Schwimmer nach den gleichen Kriterien beurteilen und trainieren zu wollen, ist Unsinn.
Und mit Sanktionen zu drohen, wenn die Schwimmer den Plänen nicht folgen. Die Auswüchse dieser Entwicklung sehen wir jetzt. Genau davor habe ich immer gewarnt, und deshalb habe ich mich nach Athen zum Rückzug entschlossen“, sagt der ehemalige Rückenschwimmer. Im Verband gäbe es aber noch genügend Kräfte, die den Umschwung einläuten könnten, um bis Olympia 2020 vielleicht wieder den Anschluss an die Weltspitze zu finden.
Beim Verbandstag in Hamburg will Präsidentin Christa Thiel erneut antreten. Sie hat in London keinen Zweifel daran gelassen, dass der umstrittene Lutz Buschkow Leistungssportdirektor bleiben wird: „Wir suchen keinen neuen Guru.“
Aber der Widerstand im Verband formiert sich. „Schlimmer geht es nimmer“, sagt Michael Gross, dem es als dreimaligem Olympiasieger und fünffachem Weltmeister „körperlich weh tut“, wie eine führende olympische Sportart ihre Marktanteile verliert. „Wir brauchen einen Neuanfang, wenn nicht jetzt, wann dann, mit neuen Leistungssport-Strukturen und neuem Personal.“
Beckmann sagt: „Man hat gesehen, wie verunsichert, wie verängstigt unsere Schwimmer sind. Das ist nicht hinnehmbar. Die Fehler, die man über Jahre gemacht hat, sind unübersehbar.“ Spätestens jetzt müsse komplett umgedacht werden.