Doping und Olympia Franke: „Auf dem Weg zu einem Olympia-Zirkus ohne ideelle Werte“

Der Sportphilosoph Elk Franke über die Bedeutung des Dopings für dem Zerfall olympischer Ideale und die Zukunft der Spiele.

Der russische Dopingskandal wirft sportphilosophische Fragen auf.

Der russische Dopingskandal wirft sportphilosophische Fragen auf.

Foto: Hannibal Hanschke

Osnabrück. Professor Dr. Elk Franke ist einer der führenden deutschen Sportphilosophen. Der 73-Jährige beschäftigt sich seit Jahren mit den Fragen des Sports, die über das Ergebnis hinausgehen. In einer sportphilosophischen Sprechstunde kommentiert Franke aktuelle Entwicklungen. Diesmal geht es um die Olympischen Spiele und ihre Ideale und ihre Perspektiven.

Doping-Skandal, Terrorängste, Gigantismus — warum freuen wir uns eigentlich noch auf die Olympischen Spiele?

Franke: Das kommt darauf an, ob man diese Frage realistisch oder idealistisch beantworten möchte. Das IOC hat Olympia in den letzten Jahrzehnten zunehmend in einen gigantischen Kommerzbetrieb verwandelt. Dennoch gibt es viele Menschen, die sich bisher vom Ereignis Olympia immer noch angesprochen fühlen, weil die ursprünglichen Werte der Spiele Menschheitsideale sind. Allerdings agieren IOC-Präsident Thomas Bach und seine Phalanx zur Zeit so, dass auch die größten Idealisten den Glauben an die viel beschworenen Olympische Ideale verlieren müssen.


Welche Rolle spielt Doping beim Zerfall olympischer Ideale?

Franke: Zuletzt gelang es dem IOC noch, der wachsenden Kritik an den Rahmenbedingungen und den Auswüchsen das Bild eines offenen Wettkampfes gegenüberzustellen und auf Verstöße mit Sanktionen zu reagieren. Doch die Tatsache, dass nicht einmal der nachgewiesene Tatbestand des systematischen Staatsdopings ausreicht, um dieses Land, in dem so etwas möglich ist, von den nächsten Spielen auszuschließen, ist ein Armutszeugnis für das IOC und öffnet eine neue Dimension. Darüber hinaus ist es zynisch, dass unter der Flagge der russischen Staatsdoper nach dem vereinbarten Verfahren auch unentdeckte gedopte Athleten an den kommenden Wettbewerben teilnehmen.

Von einem Komplett-Ausschluss wären auch saubere Sportler betroffen. Wäre das gerecht?

Franke: Man kann sich die Frage stellen, was der Einzelne dafür kann, wenn die Funktionäre ein solches Betrugssystem entwickeln. Dirk Nowitzki und Bob Hanning haben sich beispielsweise dafür ausgesprochen, saubere Athleten starten zu lassen. In zehn Tagen kann dies aber kein Fachverband seriös bewerten, zumal völlig unklar ist, wie die geforderten nicht-russischen Dopingproben zu bewerten sind. Es können letztlich nur Proben bei internationalen Wettbewerben sein und die sind bekanntlich sehr selten auffällig. Die genannten Kriterien, die knappe Zeit und die Rückverlagerung der Verantwortung an die Fachverbände nach dem McLaren-Report ist ein Kniefall vor Putin zu Lasten der letzten Reste an Glaubwürdigkeit der Olympischen Spiele im 21. Jahrhundert. Ein möglicher Kompromiss hätte die Einzelteilnahme nachweislich unbelasteter russischer Sportler ohne Rückbindung an das russische NOK unter der Olympiaflagge sein können, wie sie auch Flüchtlingen zugestanden wird.

Brasilien ächzt unter der Last Olympias und wird am Ende wenig davon haben. Warum finden sich immer noch Länder, die die Spiele ausrichten?

Franke: Es werden, speziell bei den Winterspielen, ja ohnehin immer weniger. Auch bei den Sommerbewerbungen wird es in Zukunft kaum noch demokratisch legitimierte Staaten geben, die sich bewerben werden. Putin, die Golfstaaten oder schon wieder Peking, das nächste Mal als Winterolympiade, erinnern eher an 1936 als an das, was Olympia verkörpern möchte: alle vier Jahre viele große und traditionsreiche Sportarten einer Weltöffentlichkeit präsentieren und dabei zeigen, wie ein offener, fairer Wettbewerb sein kann. Das IOC ist für die Sicherstellung und Beachtung dieser Prinzipien zuständig, allerdings völlig unabhängig war es noch nie.

Welche Zukunft haben die Olympischen Spiele?

Franke: Da eine personelle und strukturelle Erneuerung von den Funktionären und ihren Seilschaften immer wieder verhindert wird, bereiten sie den Weg in eine Eventkultur und einen Olympia-Zirkus, mit dem man sich nicht mehr identifiziert, sondern den man höchstens noch konsumiert. Als Zuschauer kann man das vielleicht beklatschen, aber die Brücke der Identifikation, die sich aus dem Glauben an eine intakte Sonderwelt des geregelten Wettkampfes speist und die bis in den Kindergarten hineinwirkt, wird immer brüchiger. Das hat auf Dauer gravierende Konsequenzen für den Kinder- und Jugendsport.

Zur Olympischen Idee passt der Medaillenspiegel im Sinne einer Nationenwertung überhaupt nicht. Trotzdem gehört er für Zuschauer, Sportler, Funktionäre und Medien dazu.

Franke: Richtig, und Ihre Zeitung bekommt vermutlich Proteste der Leser, wenn sie darauf verzichten würde. Die Spiele sind von Prestige- und Machtdenken geprägt, so dass jede gewonnene Medaille mit nationaler Bedeutung aufgeladen wird. An den Medaillen-Erfolgen hängen Fördertöpfe, Trainerstellen und Sportlergagen. Dieser Druck zwingt Teile der Sportwissenschaft in die Rolle einer Optimierungsanstalt, die sich darauf konzentriert, zur Leistungssteigerung beizutragen anstatt das System zu hinterfragen und die Folgen aufzuarbeiten.