Freude und Hoffnung in Japan nach Zuschlag für Olympia
Tokio (dpa) - Goldene Papierschlangen fliegen über die Köpfe, der Fecht-Olympiazweite Yuki Ota wird von Weinkrämpfen geschüttelt, „Tokio“, „Tokio“-Rufe hallen durch die Sportarena.
Als frühmorgens um 05.20 Uhr japanischer Zeit IOC-Präsident Jacques Rogge im fernen Buenos Aires den Siegernamen aus dem Umschlag holt, kennt der Jubel keine Grenzen mehr. Die ganze Nacht über hatten rund 2000 Menschen in einer Sporthalle der japanischen Hauptstadt vor einem riesigen Bildschirm auf die Nachricht von der anderen Seite der Erdkugel gewartet.
Doch in die Begeisterung mischen sich schnell auch viele nachdenkliche Stimmen. „Es ist ja OK, in Tokio die Olympischen Spiele zu veranstalten, aber wird dadurch das Problem in Fukushima beseitigt?“, bringt es ein Twitterer auf den Punkt. In den vergangenen Tagen hatten die Hiobsnachrichten über ausgelaufenes hochverseuchtes Wasser in der Atomruine Fukushima Daiichi die Olympia-Bewerbung überschattet.
Doch dann hielt der nach Buenos Aires gereiste Ministerpräsident Shinzo Abe eine leidenschaftliche Rede, mit der er die Herren vom IOC offensichtlich überzeugen konnte. „Die Situation ist unter Kontrolle“, behauptete der Atombefürworter. Es gebe keine gesundheitlichen Auswirkungen, weder jetzt noch in der Zukunft werde es Probleme geben. Tokio sei sicher. Die Verseuchung in Fukushima beschränke sich auf einen Umkreis von 300 Metern um den Hafen vor der Atomruine. Das habe man eingegrenzt. Dafür soll Abe von den IOC-Delegierten gar Applaus geerntet haben.
Auch wenn nicht jeder in Abes Heimat die Lage so optimistisch sieht wie der Premier, so verbinden manche Japaner mit dem Zuschlag für Olympia jedoch wenigstens eine Hoffnung: Dass sich an der Lage in Fukushima ab jetzt, da die Regierung unter dem Erwartungsdruck der Weltöffentlichkeit steht, tatsächlich etwas zum Positiven ändert und zudem der schleppende Wiederaufbau in den übrigen 2011 vom Tsunami zerstörten Katastrophengebieten endlich vorankommt. „Ich hoffe, dass sich intelligente Menschen nun mit ganzer Kraft für die Beseitigung der Probleme, über die sich alle Länder und das Japanische Volk Sorgen machen, einsetzen!“, heißt es in einem Kommentar bei Twitter.
Die Vergabe der Olympischen Spiele erfolgt zu einer Zeit, da in Japan zaghafte Hoffnung auf ein Ende der jahrelangen wirtschaftlichen Stagnation keimt. Dass Tokio nun den Zuschlag erhalten hat, könnte dem angeschlagenen Selbstwertgefühl Japans gut tun, das sich von China als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt überholen lassen musste. Für Abe, der das Land mit einer Mischung aus extremer Lockerung der geldpolitischen Zügel und schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen aus der Krise reißen will, kommt die Wahl des IOC denn auch zu einem günstigen Zeitpunkt. Dass Kritiker seiner Wirtschaftspolitik vor einem Strohfeuer warnen und zudem die Lage in Fukushima weiter ungelöst ist, gerät so leicht in den Hintergrund.
„Ich wünsche, dass es ein rein sportliches Fest sein wird, aber es stinkt doch nach Politik“ meinte ein Japaner auf Twitter. Er befürchtet eine Kampagne nach dem Motto, „Lass uns Fukushima vergessen — Olympische Spiele in Tokio“. Aber das Ausland richte nun strenge Blicke auf Japan. Er forderte daher die eigene Regierung auf, die Probleme in Fukushima ernsthaft anzupacken, „so dass man sich als Gastgeber der Olympischen Spiele nicht schämen muss“. Es sei traurig, wenn es erst der Olympischen Spiele bedürfe, damit sich etwas in Fukushima und den Tsunami-Gebieten tue, meinte eine 37-jährige Hausfrau in Tokio. Andere sind besorgt über die Kosten. Das Geld solle lieber in die Katastrophengebiete gehen.
Doch geht es nach der Regierung Abe und den Organisatoren der Olympischen Spiele, so gibt es keinerlei Grund zur Besorgnis. Man habe die Lage in Fukushima im Griff. Und außerdem werde seine Regierung es niemals zulassen, dass Tokio von den Problemen in Fukushima betroffen sein werde, versicherte Abe. Japan habe weltweit die strengsten Sicherheitsstandards bei Lebensmitteln und Trinkwasser.
Tokio rühmt sich denn auch, die sicherste Stadt der Welt zu sein, in jeglicher Hinsicht. Und so wird das sportbegeisterte Japan alles daran setzen, der Welt zu beweisen, dass man nicht nur ein erstklassiger Olympia-Gastgeber ist. Der Staat muss auch zeigen, dass Abes Fukushima-Versprechen nicht nur leere Worte waren. „Damit wir einige Jahrzehnte später denken können: Dank der Olympischen Spiele hat man das hinbekommen“, meinte ein Japaner in einem Beitrag auf Twitter und schloss mit den Worten: „Bitte! Bitte!“