Internationale Pressestimmen zur IOC-Entscheidung
Lausanne (dpa) - Die Kritik außerhalb Moskaus am IOC ist nach der Entscheidung, Russland nicht mit einem Olympia-Bann zu belegen, immens. Ein Überblick:
GROSSBRITANNIEN
BBC: „Die Entscheidung des IOC stößt auf breite Kritik. Viele werden sagen: Wenn offenbar das gesamte Anti-Doping-Programm von einer Gastgeber-Nation untergraben wurde, wann gibt es dann überhaupt einen kompletten Ausschluss von den Spielen? Das IOC hat schon schwere Zeiten überstanden, aber noch nie gab es eine Situation wie diese. Es ist traurig für das IOC. Es war lange ein Musterbeispiel für sportliche Führung. Aber dieser Status ist nun ernsthaft gefährdet.“
„The Independent“: „Bei den Olympischen Spielen geht es um individuelle Leistungen. Das war schon immer so. Ein kompletter Ausschluss Russlands hätte das verleumdet.“
„Daily Mail“: „Bühne frei für die chaotischsten und verrufensten Olympischen Spiele der Geschichte. Trotz der enormen staatlich gestützten Doping-Betrügereien, mit denen Russland die Sportwelt jahrelang in Verruf gebracht hat, darf das Team von Russland in Rio starten.“
„Guardian“: „Die mutige Athletin Julia Stepanowa, die den Skandal erst öffentlich gemacht hat, darf (...) nicht starten. (...) Es hinterlässt das ungute Gefühl, dass die vielleicht wichtigste Whistleblowerin in der Geschichte des Sports geopfert wurde, um Wladimir Putin zu besänftigen.“
RUSSLAND
„Kommersant“: „Russland bleibt im Spiel. Dank dem IOC bleibt dem einheimischen Sport die größte Katastrophe seiner Historie erspart.“
„Moskowski Komsomolez“: „Bach sagte: Auf geht's. Die russische Fahne wird über den Olympischen Spielen in Brasilien wehen.“
„Sport Express“: „Im Krieg gegen den im Doping versinkenden russischen Sport ist eine Feuerpause eingetreten. Unsere Mannschaft hat bedeutende Verluste erlitten. Aber das Hauptziel ist erreicht: die vollwertige Teilnahme an Olympia in Rio. Das ist das Wichtigste.“
FRANKREICH
„L'Équipe“: „Das Internationale Olympische Komitee hat seinen Mut genommen, ihn vorsichtig in eine Schublade gelegt und deren Schlüssel verlegt. Der Ethikwächter des Sports haben der Politik den Vorzug gegeben. (...) Besessen von ihrem Verlangen, nicht die Einheit der olympischen Bewegung zu zerbrechen, haben Thomas Bach und seine Kollegen es vorgezogen, ihre Verantwortung an die Verbände abzutreten, die auf Milde gedrängt haben. Sie haben ihre Hände gewaschen. Das ist biblisch. Wie Pontius Pilatus.“
„Le Républicain Lorrain“: „Nie zuvor war der Sport so sehr das Abbild der Gesellschaft, die er zu unterhalten vorgibt: formatiert, eingerahmt, unlauter und von finanziellen und politischen Erwägungen dominiert. (...) Das Internationale Olympische Komitee, das eigentlich die obersten Werte des Sports schützen soll, beweist sein heimliches Einverständnis mit einer übelriechenden Geopolitik. Indem es sich (...) weigert, die russischen Sportler von den Spielen von Rio auszuschließen - trotz eines belastenden unabhängigen Berichts, der ein „System des Staatsdopings“ aufgedeckt hat -, ist das IOC feige vor Wladimir Putin eingeknickt.“
SPANIEN
„El Mundo“: „Mit der Entscheidung gegen den Ausschluss Russlands wäscht das IOC seine Hände in einer Sache in Unschuld, bei der es um viel mehr als um Sport geht, wenn man die olympische Vorgeschichte des Giganten aus dem Osten sowie die Position Russlands auf dem geopolitischen Schachbrett bedenkt. (...) Man kann (...) vorstellen, welchem Druck das IOC ausgesetzt war, damit die russische Hymne bei den Spielen erklingt (...).“
„Marca“: „Das IOC hisst die Fahne Russlands. Alle Forderungen nach einer drastischen Position wurden überhört.“
„El Mundo“: „Die Rettung Russlands. Das IOC hat seine ganze Entscheidungsmacht den Verbänden übertragen, die in den vergangenen Tagen bereits Nachsicht zur Schau gestellt hatten (...) Nur sehr wenige Verbände werden die Härte des Weltleichtathletikverbandes IAAF zeigen und es wagen, einen kompletten Ausschluss zu verhängen.“
„La Vanguardia“: „Das IOC traut sich nicht gegen Russland.“
„El País“: „Russland wird in Rio dabei sein. Das IOC öffnet den Sportlern die Tür zur Teilnahme an den Spielen, falls sie strenge Doping-Voraussetzungen erfüllen.“
ITALIEN
„Gazzetta dello Sport“: „Russland bei Olympia. Staatsdoping: Das IOC gibt das Problem an die Verbände weiter.“
„Corriere dello Sport“: „Russland fährt nach Rio. Das IOC setzt nur Grenzen, überlässt die Entscheidung aber den Verbänden. Elf Tage vor den Spielen gewinnt die Realpolitik des Deutschen Thomas Bach. Das IOC stoppt die russische Olympiamannschaft nicht, was viele gefordert hatten nach den Aufsehen erregenden Enthüllungen über die systematische Verletzung des Anti-Doping-Systems.“
„Tuttosport“: „Es gewinnt Putin. Was für ein Rückschritt! Der Ausweg: Die Verbände entscheiden, ob die Russen nach Rio fahren.“
„La Repubblica“: „Putins Russland gewinnt. Das IOC von Bach zieht sich zurück, kein Verbot für die Spiele. Falls der Skandal um das russische Doping tatsächlich eine sportliche Miniaturausgabe des Kalten Krieges war, kann man nun sagen, dass ihn Wladimir Putin gewonnen hat.“
ÖSTERREICH
„Kurier“: „Ein Kniefall vor der Sportmacht.“
„Kronen Zeitung“: „Ein Kniefall vor Russland.“
„Der Standard“: „Das IOC hat es verpasst, einen Mittelweg zu finden, es hat Partei ergriffen.“
SCHWEIZ
„Tages-Anzeiger“: „Olympisches Komitee schiebt Verantwortung ab.“
„Basler Zeitung“: „Das IOC drückt ein Auge zu.“
„Neue Zürcher Zeitung“: „Gnade für Russlands Athleten.“
„Blick“: „Einer der dunkelsten Tage der Sport-Geschichte!“