IOC erhält Quittung für „Russland-Resolution“

Rio de Janeiro (dpa) - Julija Jefimowa saß gerade im Taxi, als sie die Nachricht von ihrer Olympia-Teilnahme erfuhr. „Sie konnte ihre Gefühle nicht zurückhalten. Sie schrie, weinte, lachte“, berichtete ihr Berater Andrej Mitkow.

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Bei IOC-Präsident Thomas Bach dürfte die Freude nicht gar so ausufernd gewesen sein. Schon am Donnerstag waren Bach und das Internationale Olympische Komitee vom obersten Sportgerichtshof CAS mit Blick auf ihren fragwürdigen Russland-Beschluss zurückgepfiffen worden. So musste das IOC notgedrungen Jefimowa, die auf der offiziellen Startliste steht, und weiteren Sportlern wohl grünes Licht erteilen.

Eine kleine Ohrfeige steht Bach und dem IOC am Sonntag bevor, wenn die Entscheidung über einen Komplett-Ausschluss der russischen Sportler bei den Paralympics (7. bis 18. September) ansteht. Laut Informationen der englischen Tageszeitung „Guardian“ hat sich das Internationale Paralympics Komitee (IPC) bereits vorläufig auf einen Bann verständigt. Damit würde das IPC eine andere Position einnehmen als das IOC und würde nicht in ein derartiges Dilemma stürzen. Das IPC wies die Meldung als „pure Spekulation“ zurück, eine Entscheidung sei noch nicht gefallen.

So wuchs das russische Olympia-Team am Samstag vermutlich auf 280 Sportler an. Nach Informationen der russischen Nachrichtenagentur Tass erteilte das IOC nach Jefimowa auch den vier weiteren wegen Dopings verbannten Schwimmern Natalia Lowzowa, Michail Dowganjuk, Anastasia Krapiwina und Daria Ustinowa genauso die Starterlaubnis wie dem zweimaligen Ringer-Weltmeister Viktor Lebedew. Lowzowa stand wie Jefimowa inzwischen der offiziellen Startliste.

IOC-Sprecher Mark Adams sagte, er können den Tass-Bericht nicht bestätigen. Es sei grundsätzlich derzeit schwierig, die genaue Zahl russischer Sportler mit Starterlaubnis zu beziffern: „Das ändert sich ständig über den Tag hinweg.“

Der erst Auswahlprozess habe 271 russische Starter ergeben. „Jetzt hat jeder das Recht, vor den CAS zu ziehen“, sagte Adams. „Es wird weiter Veränderungen geben.“ Er erinnerte daran, auch bei einem Sieg vor dem CAS jeder Fall vom IOC erneut überprüft und abschließend bewertet werde.

Hintergrund ist die CAS-Entscheidung, dass Sportlern auf Grundlage einer früheren Dopingsperre nicht die Teilnahme an den Olympischen Spielen verwehrt werden darf.

Damit erhielten Bach und Kollegen die Quittung für ihre wenig durchdachte „Russland-Resolution“. Auf einen Komplett-Ausschluss der russischen Mannschaft hatte das IOC verzichtet - trotz der deutlichen Hinweise im Untersuchungsbericht der Welt-Anti-Doping-Agentur auf ein ausgeklügeltes Staatsdoping-System.

Das IOC wollte vielmehr Sportler verbannen, die eine Doping-Vergangenheit aufweisen oder im McLaren-Report erwähnt werden. Am Ende ließen sich beide Aspekte nicht mehr durchdrücken.

Das CAS hatte bereits 2011 die sogenannte Osaka-Regel für nichtig erklärt. Die Regel sah vor, dass Dopingsünder automatisch von den nächsten Olympischen Spielen ausgeschlossen werden - praktisch eine Doppelbestrafung. Und auch bei einigen im McLaren-Bericht genannten Athleten reichte die Beweislage nicht für einen Ausschluss aus.

So hatten die internationalen Verbände und das CAS einen Haufen Arbeit - und die Russen am Ende gut lachen. Wie etwa Jefimowa. „Bisher hatten wir keine olympische Akkreditierung und deshalb keinen Zutritt zum Trainingsgelände. Auch nicht zum Olympischen Dorf, Julia wohnt in einem normalen Hotel. Für uns ist schon der Start in Rio ein Sieg. Die Platzierung ist bedeutungslos“, sagte ihr Berater Mitkow der russischen Tageszeitung „Moskowski Komsomolez“.

Am Freitag hatten bereits Segler Pawel Sosikin und Bahnradsportlerin Olga Zabelinskaja ihr Startrecht erhalten, womit sich die Zahl der Teammitglieder auf 274 Sportler erhöht hatte. Dazu schickte der russische Verband noch kurzfristig Alexej Kurbatow ins Straßenrad-Rennen am Samstag. Der 22-Jährige nahm den Startplatz von Ilnur Zakarin ein. Der Tour-de-France-Etappensieger hatte am Freitag die Startberechtigung vom IOC erhalten, war aber laut Verband gar nicht in Rio und konnte nicht mehr rechtzeitig anreisen.

Auch Whistleblowerin Julia Stepanowa, die vom IOC quasi zur unerwünschten Person erklärt worden ist, fehlt in Rio. Sie wird das Olympia-Startrecht beim CAS zwar nicht einklagen - aber sie klagt das IOC an. Die Entscheidung, sie nicht teilnehmen zu lassen, sei nicht überraschend, heißt es in einer Erklärung der russischen 800-Meter-Läuferin und ihres Mannes Witali Stepanow. Die Weigerung des IOC, sie als neutrale Athletin teilzunehmen zu lassen, verletzten wieder die Grundsätze der Gerechtigkeit. „Es folgt keiner Logik, außer dem Wunsch, eine völlig glaubwürdige Informantin zu bestrafen“, schrieb das Paar. Der 31 Jahre alten Leichtathletin war vom IOC wegen einer zweijährigen Dopingsperre die Teilnahme in Rio verweigert worden.