Krise des Spitzensports - „Strukturen haben versagt“
Hamburg (dpa) - Die deutschen Sportwissenschaftler widersprechen dem Anspruch von Bundesinnenminister Thomas de Maizière an den Spitzensport.
Der Innenminister fordert 30 Prozent mehr olympische Medaillen und will gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) eine Leistungssportreform auf den Weg bringen. Das wollen auch die Sportwissenschaftler, sehen aber einen anderen Ansatz.
„Die Medaillenbilanz kann nicht Ausgangspunkt einer Strukturreform sein“, sagte Martin Lames, Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften München, in Hamburg. Zunächst müsse die Frage geklärt werden: Warum wollen und brauchen wir Spitzensport? Stichworte wie Vorbildwirkung, Motivation, präventive Wirkung, Erlernen des Leistungsmotivs und Gesundheitsförderung fielen. „Wir sollten uns Gedanken über den Sinn und Zweck von Spitzensport machen und nicht Medaillen fordern“, sagte Lames.
Kuno Hottenrott, Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, erklärte: „Wir haben eine Krise in der Struktur des deutschen Spitzensports.“ Die Wissenschaft werde unzureichend in den Reformprozess eingebunden. „Wir können uns nicht an Medaillen orientieren. Die positiven Faktoren des Spitzensports für die gesellschaftliche Entwicklung müssen mehr zum Vorschein kommen.“
Hottenrott widersprach den Medaillenzählern: „So eine Nation wie Deutschland muss den Mut haben, auch Sportler zu Olympischen Spielen zu schicken, die keine Medaillenchancen haben.“
Die Sportwissenschaftler lehnen eine Konzentration auf einige Sportarten ebenso wie die zunehmende Zentralisierung im Sport ab. „So können viele Talente ihren Sport erst gar nicht betreiben. Wir brauchen viele verschiedenen Zentren“, betonte Hottenrott und ergänzte: „Die Strukturen nach der Wiedervereinigung haben versagt.“
Hottenrott und Lames regten an, eine Spitzensport-Kommission als politisches Gremium zu installieren, die Ziele und Konzepte entwirft sowie Geld zur Verfügung stellt. Darunter soll eine Spitzensport-Agentur die Prozesse steuern. Die Förderung müsse individueller, die Trainerausbildung deutlich verbessert und auf akademische Füße gestellt werden.