Millionen Besucher erwartet: Die Spiele verändern London
Die chronisch miesepetrige Stadt gewöhnt sich gerade daran, dass sechs Millionen Besucher ihr Flair verändern.
London. Gut gelaunte, muskelbepackte Athleten in der U-Bahn, Luxus-Yachten in den Docks und Hollywood-Royals im Anflug: London gestaltet nicht nur Olympia — Olympia gestaltet London. Drei Tage vor Auftakt der Spiele ist die sonst chronisch miesepetrige Stadt fest im Griff fröhlicher Gäste. Jetzt müssen die Hauptstädter sich schnell entscheiden: Wollen sie sechs Millionen Besuchern die Vorfreude verderben, nur weil sie selbst nicht zur Party eingeladen sind?
Monatelang sind die Londoner auf allen Kanälen gewarnt worden: Die Stadt wird voll! Plant Umwege ein! Arbeitet von zuhause aus! Jetzt sind sie da: Ganze Teams breitschultriger Sportler, die sich in die U-Bahn quetschen wie der Riese Gulliver im Land der Zwerge.
Ans Modevolk, das jedes Jahr zur Fashion Week in schriller Tapezierung in die kleinen Waggons klettert, hat London sich ja gewöhnt. Aber lächelnde, braungebrannte Hünen in Jeans und T-Shirt? Das ist in Großbritannien so exotisch, dass der Großstädter eines seiner zehn heiligen U-Bahn-Gebote bricht: Er starrt, diskret, aber immerhin.
Jeder zweite Londoner gibt in Umfragen an, von den Spielen genervt zu sein. Die Hardcore-Gegner sind in den Urlaub gefahren, die übrigen wollen aber offenbar versuchen, den „Zirkus“, so das Code-Wort unter Hauptstädtern, mit Würde zu ertragen.
„Stopft Euch einen Socken ins Lästermaul“, hatte Bürgermeister Boris Johnson angeordnet. Der Rüffel zeigt Wirkung: In Islington, wo eine japanische TV-Crew unter Ausrüstung und dem plötzlichen Ausbruch des Sommers ächzt, lässt man ihr den Vortritt am Doppeldecker-Bus. Taxifahrer auf der Oxford Street bremsen plötzlich für Touristen, Straßenkartengucker werden geduldig von Hastig-Hastig-Anzugträgern zum Ziel gelotst. Das ist — bei aller Ruppigkeit, die Londoner sonst mit ihren Sorrys und Thankyous maskieren — ein gigantischer Stimmungswechsel.
Umgestimmt wurden viele Kritiker auf Nebenschauplätzen: Da ist das Olympische Feuer, das 8000 Meilen durch das Königreich getragen wurde — von Kriegsversehrten, Müttern und anderen Alltagshelden. Unter der Flamme sind Heiratsanträge gemacht und Freudentränen vergossen worden.
Auch das viel gefürchtete Verkehrschaos ist vorerst nicht so dramatisch ausgefallen. Den zähesten Stau haben die Kritiker selbst provoziert: Als Taxifahrer am Montag gegen VIP-Fahrspuren in der Stadt protestierten, stand London still. Nicht nur, weil die Fahrer die Tower Bridge blockiert hatten, sondern auch, weil einer von dem Wahrzeichen in die Themse gehüpft war und gerettet werden musste. Der Frust gestrandeter Städter blieb aus: Mit Exzentrikern kann eben niemand in London wirklich böse sein.
Eine interaktive Spielstättenübersicht auf dem olympischen Gelände finden Sie unter: