#Rio2016 Miriam Welte & Gina Lückenkemper: Die Olympiasiegerin und das Küken
Miriam Welte hat bei Olympia 2012 Gold im Bahnrad-Teamsprint gewonnen. Mit Sprinterin Gina Lückenkemper spricht sie über die Spiele in Rio, und die Unterschiede, mit dem Rad oder zu Fuß schnell zu sein.
Düsseldorf. Schnell sind sie beide. Die eine mit ihrem Rad auf der Bahn, die andere zu Fuß. Die mit dem Bahnrad ist Olympiasiegerin, London 2012 war das, „unvergesslich“, wie Miriam Welte sagt. Gina Lückenkemper hingegen ist Newcomer, 19 Jahre alt, gerade Abitur gemacht — und das erste Mal bei Olympia dabei. Als Sprinterin über 100 und 200 Meter. Im Doppel-Interview sprechen die beiden über diese olympischen Gegensätze und über ihre Ziele für Rio.
Miriam Welte, erzählen Sie doch Gina Lückenkemper mal, worauf sie sich bei Olympia freuen darf.
Miriam Welte: Du kannst dich auf jeden Fall freuen, es wird genial. In London war es durch das enge Zusammenleben tatsächlich so, dass man die anderen Athleten kennenlernt. Man hat ja sonst nicht so viel Kontakt miteinander. In London haben wir es bei den Spielen 2012 beim Essen so gemacht: Wenn man irgendwo ein deutsches Shirt gesehen hat, hat man sich einfach dazugesetzt und gesagt: Hi, wer seid ihr? Ich bin die Miriam. Alle sind super drauf, das motiviert einen auch selbst zu richtig guten Leistungen.
Gina Lückenkemper: Darauf freue ich mich wirklich. Man ist ja sonst immer nur mit den Leichtathleten unterwegs.
Wie sind Sie beide jeweils zu Ihrem Sport gekommen?
Welte: Bei mir war mein Stiefvater Radsporttrainer. Als meine Mama ihn kennengelernt hat, war ich noch Leichtathletin und bin immer mit dem Fahrrad zum Training gefahren. Irgendwann habe ich gesagt: Wenn ich ohnehin immer mit dem Rad fahren muss, weil sich meine Mama wegen meiner zwei jüngeren Geschwister nicht zerteilen kann, dann kann ich auch ganz Rad fahren. Mein Stiefvater hat mich mitgenommen, und ich hatte auf der Bahn gleich viel Spaß. Also habe ich Laufschuhe in Radschuhe gewechselt.
Lückenkemper: Ich bin schon immer gerne gerannt als Kind, meine Eltern haben mich dann gefragt, ob ich nicht mal Lust auf Leichtathletik-Training hätte. Ich bin das mit großer Euphorie angegangen — und dabei geblieben.
Wann hatten Sie den Moment, in dem Sie erkannt haben, dass es für Sie weit nach vorn gehen könnte?
Welte: Anfangs habe ich gedacht, Olympiasieger gibt es nur im Fernsehen. Meine Erinnerungen gehen da zurück nach Sydney, Cathy Freeman über 400 Meter, da war ich mega beeindruckt. Das wollte ich auch mal gerne erleben. Aber daran geglaubt habe ich erst, als ich Anfang 20 war und klar war, dass der Teamsprint olympisch wird. Da habe ich mir gesagt: Ok, jetzt kannst du es wirklich schaffen. Das war 2010.
Lückenkemper: Zum ersten Mal habe ich damit geliebäugelt, als ich in der Jugend das erste Mal das Nationaldress trug. Das hat sich dann immer weiterentwickelt. Und jetzt ist wirklich megageil, dass ich in Rio dabei bin.
Unterscheidet sich Ihr Trainingsaufwand?
Welte: Ich habe fünfmal die Woche zwei Mal Training am Tag. Und einen Tag dann nur ein Mal. Sonntags habe ich frei, wenn ich zu Hause bin. Aber: Im Trainingslager wird keine Rücksicht genommen auf freie Tage. Der Fokus lag lange auf dem Krafttraining, weil das entscheidend bei uns ist, um die Gänge bewegen zu können. Wir müssen im Gegensatz zu den Leichtathleten auch das Fahrrad noch beschleunigen. Das sind noch einmal sieben Kilo mehr, die nach vorne bewegt werden müssen.
Lückenkemper: Ok, wir trainieren definitiv unterschiedlich (lacht).
Der Start dürfte bei allen Unterschieden für beide ähnlich wichtig sein.
Welte: Es kommt bei uns beiden extrem auf den Start an. Und ich habe im Vergleich zu Gina den Vorteil, dass wir dann den Countdown haben. Die Maschine öffnet immer gleich, der Countdown geht von 50 Sekunden auf Null — und bei Null geht’s los. Ich kann das trainieren. Aber die Gina kann den Kampfrichter im Training eben nicht neben sich stellen.
Lückenkemper: Das ist in der Tat ein Problem. Der eine Kampfrichter wartet länger, der andere schießt total schnell. Das ist schon ein Riesenunterschied. Schwer zu kontrollieren.
Sie haben kürzlich gesagt, der Start sei Ihre Baustelle.
Lückenkemper: Wir haben in der Vorbereitung sehr viel auf die Starttechnik geachtet. Ich hatte immer ein Problem mit der Vorlage. Die sollte man möglichst lange halten, um sich ordentlich nach vorne durchschieben zu können. Damit tue ich mich noch schwer. Das hat auch mit der Kraft zu tun, weil ich eben nicht so die Kraftläuferin bin. Aber wir haben das hart trainiert.
Ihr Sport ist keine Garantie für ein Leben in Reichtum und Sorglosigkeit. Was machen Sie neben dem Sport?
Lückenkemper: Ich habe gerade erst mein Abi gemacht.
Welte: Und ich habe dieses Jahr zehn Jahre Abitur (lacht). Ich war nach dem Abi zwei Jahre bei der Bundeswehr in der Sportfördergruppe und danach in Rheinland-Pfalz in der Sportfördergruppe der Polizei. Ich bin seit drei Jahren fertig und seit Januar als Polizeikommissarin verbeamtet.
Lückenkemper: Ich orientiere mich gerade, was ich überhaupt will. Mir darüber Gedanken zu machen, die Zeit hatte ich nämlich bislang nicht. Ich mache verschiedene Praktika, etwa beim lokalen Radiosender in Soest. Und dann schauen wir mal, wie viel Zeit ich brauche, um mich zu entscheiden.
Wie erleben Sie Konkurrenz in Ihrem Sport?
Lückenkemper: Es kommt schon auf die verschiedenen Charaktere an, ob man auch als Team funktioniert. Wenn man das wirklich will, dann kann man auch ein Team sein. Bei uns klappt das auch zum Großteil. Mit manchen Mädels habe ich auch privat Kontakt. Auch wenn die Konkurrenz natürlich vorherrschend ist.
Welte: Das ist bei uns genauso. Aber ich bin mit meiner Partnerin im Teamsprint, Kristina Vogel, ja auch nur zu zweit. Wir verstehen uns super gut, sind zusammen durch Höhen und Tiefen gegangen. Wir hatten mal Phasen, da ging es bei ihr besser und umgekehrt. Uns hat es so weit gebracht, dass wir zusammenhalten und uns gut verstehen. In den Einzeldisziplinen ist dann Krieg — das ist auch klar.
Miriam Welte ist schon Olympiasiegerin. Das Ziel ist für Sie, Gina Lückenkemper, eher unrealistisch.
Lückenkemper: Es ist außer Reichweite, wenn man sich den internationalen Frauen-Sprintbereich anschaut. Wir sind auf einem guten Weg. In der Staffel haben wir sicher die größte Chance. Weil wir eine hohe Leistungsdichte haben, wird unsere Staffel auch immer konkurrenzfähiger. Jetzt müssen wir nur noch gute Wechsel hinbekommen. Ich traue unserer Staffel schon zu, dass sie es in Rio bis ins Finale schafft. Und dann geht es nur darum, noch mal alles zu geben und Spaß zu haben.
Haben Sie Ihren größten Erfolg schon hinter sich, Miriam Welte?
Welte: In London war es schon verrückt. Wir sind als Weltmeister hingefahren und eigentlich nur Dritter nach der Quali gewesen. Dann rutschen die Briten raus, und wir kommen ins Finale. Dann kann auch China nicht richtig wechseln — und wir haben Gold. Aber ich glaube, wir haben allen bewiesen, dass wir zu Recht Olympiasieger sind, weil wir danach und auch im Jahr darauf die Weltmeisterschaft gewonnen haben. Noch zur Disqualifikation der Chinesen im Finale: Hätten sie tatsächlich richtig gewechselt, wären sie vermutlich auch langsamer gewesen als wir. London war ein Wechselbad der Gefühle, es war verrückt. Ich habe lange gebraucht, hinterher zu verstehen, dass mir dieses Gold wirklich gehört. Ich würde das wahnsinnig gerne noch einmal in Rio erleben. Wir arbeiten sehr hart dafür, die Konkurrenz ist viel enger herangerückt. Es wird ein super spannender Wettkampf. Spielt Nervosität eine Rolle, Frau Lückenkemper?
Lückenkemper: Für mich ist es pure Vorfreude. Mit Nervosität habe ich nicht so viel am Hut.
Wie sehr beschäftigen Sie sich mit den großen Dopingdiskussionen dieser Tage?
Lückenkemper: Ich beschäftige mich damit nicht so sehr. Ich weiß, dass ich regelmäßig kontrolliert werde. Und ich weiß, dass ich sauber bin. Aber: Ich bin auch durchaus froh, dass es ans Licht kommt, was da mancherorts abgeht.
Die Kontrollen nehmen zu?
Lückenkemper: Ich werde noch nicht so wahnsinnig oft kontrolliert, weil ich noch nicht ganz vorn mitlaufe. Aber der Aufwand, seit ich in dieses Adams-Programm reingerutscht bin, der ist wahnsinnig. Dieses Programm ist ein Big Brother, den man füttern muss. Wir müssen alles angeben: Übernachtungsort, Adresse. Und wenn man den Übernachtungsort zum Beispiel nicht angibt, akzeptiert „Adam“ das nicht, du kannst das dann nicht wegschicken. Außerdem musst du jeden Tag ein einstündiges Testzeitfenster nennen, zu dem man abrufbereit ist. Das ist intensiv.
Welte: Du musst viel mehr mitdenken. Dich immer wieder erinnern: Habe ich alles ordnungsgemäß gemacht? Wir können uns entscheiden, woanders zu übernachten, wenn wir es denn eintragen. Ich finde es natürlich auch gut und hoffe, dass es die anderen Nationen genau so umsetzen wie wir. Richtig kontrollierbar ist das nicht. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Worauf freuen Sie beide sich am meisten in Rio?
Lückenkemper: Tatsächlich die ganze Atmosphäre, ich kenne das alles nicht, es ist für mich eine komplett neue Erfahrung.
Welte: Ich freue mich auf meinen eigenen Wettkampf und hoffe dann, dass ich so viel wie möglich mitnehmen kann an anderen Höhepunkten. Wir sind ja beide erst in der zweiten Olympia-Woche dran.