Olympia-Medaillenplan des DOSB: 44 plus
Düsseldorf (dpa) - Die XXXI. Olympischen Spiele in Rio de Janeiro werden zur letzten Kraftprobe des bisherigen Leistungssportsystem in Deutschland vor der großen Reform.
„Die Zielstellung bleibt 44 Medaillen plus“, sagte Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der Deutschen Presse-Agentur. „Die Chance, diese ehrgeizige Zielstellung zu erreichen, sehen wir immer noch als realisierbar.“
Eine Neuaufstellung des Spitzensports ist unabhängig davon notwendig. Denn in den vergangenen 24 Jahren hat sich die Zahl der errungenen olympischen Medaillen halbiert. Nach der Wiedervereinigung kehrten die deutschen Sportler 1992 aus Barcelona mit 82 Medaillen zurück. 2004 in Athen holten sie 49 und 2008 in Peking nur 41 Medaillen. Erst in London wurde die Talfahrt gestoppt und 44 Medaillen (11 Gold/19 Silber/14 Bronze) gewonnen.
„Wir wollen schon versuchen, den positiven Aufwärtstrend fortzusetzen“, hofft Schimmelpfennig. „Aber wir wissen bei all den Rechnungen auch um die Notwendigkeit, den deutschen Leistungssport neu aufzustellen, um ihn erfolgreicher gestalten zu können.“ Denn: Wie weit man von den Großmächten des Sports entfernt ist, zeigt die Medaillenbilanz der vier besten Nationen: USA (103), China (88), Russland (82) und Großbritannien (65).
Wie viele Medaillen das Resultat allein sportlichen Talents gewesen sind, bleibt ungewiss. Welche Dimension der Doping-Betrug hat, wird selten so offenkundig wie vor den Rio-Spielen. Die schockierenden Doping-Enthüllungen in Russlands Leichtathletik scheinen nur die Spitze eines Eisberges zu sein. „Erfreulich ist, dass wir näher an den Betrug herangekommen sind“, befand Schimmelpfennig.
Bei den Zielvereinbarungen zwischen den Spitzenverbänden und dem DOSB war vor drei Jahren ein Zielkorridor von 40 bis 70 Medaillen ermittelt worden. Seitdem konnten nicht alle Verbände so „liefern“, wie sie es prognostiziert hatten. Kurz vor dem 100-Tage-Countdown korrigierte der DOSB die Vorgabe daher noch einmal leicht nach unten. „Wir haben den Zielkorridor aktualisiert und sind auf 38 bis 68 Medaillen heruntergegangen“, sagte der DOSB-Vorstandsvorsitzende Michael Vesper.
Dass die deutsche Mannschaft vom 5. bis 21. August unter dem Zuckerhut in den 306 Wettbewerben der 28 Sportarten die Forderung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière - ein Drittel mehr Medaillen, also 15 mehr als in London - erfüllen kann, ist zu bezweifeln. „Das ist eine längerfristige Zielstellung, die der Minister einmal genannt, aber nicht auf die Spiele in Rio gemünzt hat“, erklärte der Chef de Mission Vesper. „Das ist das Ziel der beabsichtigten Leistungssportreform.“
Der DOSB wird wohl nicht deutlich mehr Medaillen gewinnen, aber auf jeden Fall viel mehr Sportler als vor vier Jahren in London (391) nach Brasilien schicken. „In Rio werden wir voraussichtlich rund 440 Athleten am Start haben, weil sich bisher fünf Mannschaften qualifiziert haben, zwei mehr als 2012“, so Vesper. Zusätzlich kann sich das deutsche 7er-Rugby-Team der Männer das Olympia-Ticket noch sichern, muss aber das Turnier im Juni in Monaco gewinnen.
Besonders erfreut ist der DOSB nach dem Tief in London, dass je zwei Fußball- und Hockey-Teams sowie die Handball-Europameister in Rio dabei sind. „Derzeit kann man sagen: Alle fünf Mannschaften haben eine Chance, vorne mitzumischen“, sagte Vesper und hofft dadurch auf Rückenwind für die ganze Olympia-Mission. „Für uns ist nicht die eine Medaille wertvoller als die andere. Aber Mannschaftssportarten haben auch eine atmosphärische Bedeutung.“
In den bisherigen Olympia-Qualifikationen der Individualsportarten gab es positive und nicht so erfreuliche Nachrichten. So schlugen sich die Turner um Fabian Hambüchen und Pauline Schäfer ebenso stark wie die Slalom-Kanuten - mit einer Ausnahme: Hoffnungsträgerin Ricarda Funk verpasste im Kajak-Einer das Rio-Ticket.
Bei den Fechtern, einst die großen Medaillenlieferanten bei Olympia, lief es besonders schlecht: Erstmals seit 1956 qualifizierte sich kein Team, nur vier Einzelstarter überstanden die Ausscheidung für Brasilien. „Dafür lief die Qualifikation in anderen Sportarten besser“, betonte Schimmelpfennig.
Den Leichtathleten attestiert er, „wieder konkurrenzfähig“ zu sein. (Medaillen-)Hoffnungen hat er ebenso im Tennis und Tischtennis. Auch bei den Reitern, Ruderern und Kanuten sei man „immer noch gut besetzt“. Zudem glaubt er, dass die in London medaillenlosen Schützen wieder Treffer landen könnten, und beim Olympia-Comeback von Golf sei auch etwas drin. „Im Golf ist der Kreis der Spieler, die ein Masters-Turnier gewinnen können, richtig groß, er liegt nach Darstellung des Golfverbandes im dreistelligen Bereich.“
Nicht so zuversichtlich ist Schimmelpfennig, was die vor vier Jahren erfolglosen Schwimmer angeht. „Der Kreis der Kandidaten ist überschaubar“ - Chancen gebe es dennoch. Nominiert wird das Rio-Team auf drei DOSB-Sitzungen am 31. Mai, 28. Juni und 12. Juli.
Bis zur Olympia-Eröffnungsfeier am 5. August im Maracanã-Stadion gibt es aber auch für das tief in der Krise steckende Brasilien viel zu tun und zu lösen: Unvollendete Sportstätten, Umweltprobleme und der Zika-Virus sorgen für negative Schlagzeilen und Besorgnis.
Vor allem überschattet die drohende Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff den Endspurt der Vorbereitungen. „Unbeschwert kann man vor Olympischen Spielen nie sein. Es kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren“, meinte Vesper. „Die Regierungskrise ist in der Tat außergewöhnlich, aber sie kommt zu einem Zeitpunkt, an dem alles entschieden ist, was die Spiele betrifft.“