„Orden für alle“: Russland feiert Wiedergeburt
Sotschi (dpa) - Erst als Versager verhöhnt, dann in historischem Gold-Rausch: Nach jahrzehntelanger Durststrecke feiert sich Russland in Sotschi als wiederauferstandene Olympia-Weltmacht.
„Platz Eins in der Nationenwertung - jetzt sind wir die Besten der Welt“, jubelte Sportminister Witali Mutko. Ein spektakulärer Dreifachsieg im Langlauf machte am Abschlusstag den Triumph der Gastgeber perfekt.
Russische Athleten standen 13 Mal auf dem obersten Podestplatz, dazu gab es elfmal Silber und neunmal Bronze. Insgesamt 33 Medaillen für das Riesenreich - so viel wie noch nie bei Winterspielen. Die bisherige Bestmarke stand bei 29 Mal Edelmetall in Calgary 1988, damals noch unter der Sowjetflagge mit Hammer und Sichel. Allerdings gab es seinerzeit in Kanada deutlich weniger Wettbewerbe als heute.
Im Siegestaumel zeigte Mutko nach dem Motto „Orden für alle!“ seltene Spendierlaune. „Medaillengewinner und ihre Trainer erhalten Staatsauszeichnungen sowie Autos und Wohnungen“, versprach er. Und Russlands NOK-Chef Alexander Schukow schwärmte: „Unsere Athleten haben die kühnsten Erwartungen übertroffen.“ „Ihr seid Schneekönige“, titelte die Zeitung „Sowjetski Sport“. Die Wettkämpfe seien für Russland allerdings „Winterspiele der gemischten Gefühle“ gewesen.
Lange sahen die Heim-Spiele am Schwarzen Meer für den Gastgeber wie ein milliardenteures Fiasko aus. Im Eiskunstlauf gewann Russland erstmals seit 20 Jahren kein Edelmetall im Einzellauf der Herren, weil Sportlegende Jewgeni Pluschenko vor den Augen des entsetzten Publikums verletzt aufgab. Danach stürzte das 15-jährige Jahrhunderttalent Julia Lipnizkaja aus den Medaillenrängen. Und die Eishockeyprofis wurden im Viertelfinale von Finnland gedemütigt.
Als „Pannen-Spiele“ verhöhnten Medien in Moskau bereits die Wettkämpfe am Schwarzen Meer, für die Kremlchef Wladimir Putin die Olympia-Rekordsumme von 37,5 Milliarden Euro ausgegeben hatte. Nach Dauerbesuchen in der ersten Woche blieb Putin den Wettkämpfen auffällig fern, als sich erste Misserfolge einstellten. Doch das Wettkampfglück kehrte nach der „schwarzen Serie“ zurück zu den Gastgebern - und mündete zum Schluss in einen wahren Gold-Rausch.
„Das zeigt, was Olympische Spiele in einem Land an Begeisterung auslösen können. Russland war vor vier Jahren Elfter im Medaillenspiegel, jetzt hat es sich auf Platz eins hochkatapultiert“, sagte der deutsche Chef des Mission, Michael Vesper, der Agentur dpa in Sotschi. Auch Präsident Alfons Hörmann vom Deutschen Olympischen Sportbund meinte: „Russland hat bei den letzten Winterspielen einen Dämpfer erhalten und nun die Heimspiele hervorragend genutzt.“
Mitverantwortlich für den Aufschwung ist auch eine großzügige Einbürgerungspraxis. Mit dem gebürtigen Südkoreaner Victor An (drei), dem US-stämmigen Snowboarder Vic Wild (zwei) und der in der Ukraine geborenen Paarläuferin Tatjana Wolossoschar (eine) holten „Ausländer“ fast die Hälfte aller Goldmedaillen des Gastgebers. „Einbürgerung ist in Zeiten der Globalisierung völlig normal“, unterstrich Minister Mutko.
Höhepunkt für den Gastgeber war der Dreifachsieg der Langläufer im 50-Kilometer-Marathon am Sonntag. Das ganze Land lag sich jubelnd in den Armen. Für die Russen ist es der erste Sieg in der Länderwertung seit 1994 in Lillehammer. In der Bob-Königsklasse veredelte Alexander Subkow dann die Bilanz sogar noch. Unter tosendem Jubel fuhr der Zweierbob-Olympiasieger auch zu Viererbob-Gold.
Nach Jahrzehnten voller Rückschläge sollen die Winterspiele unter Palmen für Russland der Startschuss sein für eine Wiedergeburt der Sportnation. Noch 2014 gastiert der Formel-1-Zirkus erstmals in Sotschi, dann folgen die Schwimm-WM in Kasan (2015) und die Eishockey-WM in Moskau und Sankt Petersburg (2016) - sowie die Fußball-WM 2018. „Das sind gewaltige Aufgaben - aber seit Olympia ist meine Gewissheit groß, dass wir sie lösen können“, sagte Mutko.