Paralympics-Stadt Sotschi birgt noch viele Barrieren für Behinderte

Sotschi (dpa) - Die Olympia-Metropole Sotschi gilt als Modellstadt für ein neues modernes Russland - auch für Behinderte.

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Kein anderer Ort im größten Land der Erde, so hatte es der Chef des Olympia-Organisationskomitees (SOCOG), Dmitri Tschernyschenko, angekündigt, werde so „barrierefrei“ wie der Schwarzmeerkurort.

Doch was die rund 1500 Athleten aus 43 Ländern bei den Paralympics vom 7. März an in Sotschi erwarte, sei eher ernüchternd, berichten Medien im Gastgeberland. Lifte, die nicht funktionieren, Fahrstühle, die zu eng sind, hohe Bordsteinkanten, Zebrastreifen, die auf matschigen Beeten enden, und viele Stolperstellen - das alles dürfte die Sportfreude unter Palmen trüben, meinten Kommentatoren vor der Eröffnungsshow im Fischt-Olympiastadion.

Schon bei den Winterspielen galt die Stimmung eher als unterkühlt. Übung im Umgang mit Behinderten haben Russen kaum - auch weil ihre Bedürfnisse lange totgeschwiegen wurden. Nun aber die Premiere für Russland mit einem Sportprogramm, dessen Ausmaß bei den Paralympics noch nie so groß war.

Die Wettkämpfe in den Bergen werden in den Wintersportzentren Rosa Chutor und Laura ausgetragen - erstmals auch im Para-Snowboard. Curling für Rollstuhlfahrer und Sledgehockey sind in den Arenen im Olympiapark geplant. „Alles wurde gebaut, um eine gute Atmosphäre zu schaffen, um die Athleten zu unterstützen dabei, ein gutes Wettkampfniveau zu erreichen“, sagt Jewgeni Bucharow, zuständig für die Paralympics beim SOCOG.

Doch vor allem außerhalb der Olympia-Anlagen befürchten Beobachter einen schweren Parcours für Behinderte. „Leider verstehen unsere Funktionäre nicht, was eine barrierefreie Umgebung bedeutet“, schreibt der Blogger Ilja Warlamow in einer Fotoreportage für den Internetauftritt des Radiosenders Echo Moskwy.

Menschen in Rollstühlen sind in Russland eher selten im Straßenbild zu sehen. Zu Sowjetzeiten führten sie ein Schattendasein. Bei den Sommerspielen in Moskau 1980 lehnten es die Kommunisten sogar ab, Paralympics zu organisieren. Die Gastgeber behaupteten lange Zeit, es gebe im Sowjetimperium keine Behinderten.

„Wir haben uns selbst in Rollstühle gesetzt und sind eigentlich nicht so richtig von der Straße in die Hotelzimmer gekommen“, sagt ein Mitarbeiter an der Anlage Russki Dom. Nachbessern sei kaum möglich, weil wegen des Sicherheitsaufgebots und der Terrorgefahr in der Stadt kaum Baustofftransporte möglich seien. „Die Anlagen sind ja auch abgenommen“, sagt der Mann, der lieber ungenannt bleiben möchte.

Craig Spence, der Sprecher des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), räumt einzelne Probleme ein. Er hofft, dass diese bis zum Beginn der Spiele ausgebügelt würden. Die Organisatoren loben die russischen Gastgeber dafür, dass überhaupt erstmals im Riesenreich ein Bewusstsein geschaffen werde für die Belange von Behinderten.

In der Innenstadt von Sotschi gibt es zwar an Unterführungen Fahrstühle. Angeschlossen sind sie aber nicht. Bedienknöpfe fehlen. Auch der Zugang zu Tunneln ist angesichts holpriger Bürgersteige und Kanten kaum zu schaffen. Bei der neuen Bahnverbindung klaffen zwischen Bahnsteigen und den Zugtüren bisweilen so große Lücken oder Höhenunterschiede, dass schon einfache Fußgänger springen müssen.

Viele der angelegten Metallrampen sind wackelig. Geschäfte helfen sich oft mit einer Klingel, mit der Rollstuhlfahrer „manuelle“ Hilfe rufen können. Nicht wenige dieser Klingeln sind Berichten von Augenzeugen zufolge in unerreichbaren Höhen angebracht. „Das alles sieht wie eine Lachnummer aus für Menschen mit eingeschränkten Möglichkeiten“, meint Warlamow in seinem Blog beim kremlkritischen Sender Echo Moskwy. Allerdings lobt auch er, dass erstmals überhaupt Probleme von Behinderten zur Sprache kommen in Russland.

„Für eine barrierefreie Stadt wurde viel getan“, sagte IPC-Präsident Philip Craven unlängst der Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“. „Das Wichtigste ist eine veränderte Einstellung der russischen Gesellschaft gegenüber Menschen mit körperlichen Behinderungen“, meinte der britische Ex-Rollstuhl-Basketballer.