Russland verabschiedet Olympioniken nach Rio
Moskau (dpa) - Trotzig schickt Russland seine wegen Dopingsperren reduzierte Mannschaft zu den Olympischen Sommerspielen nach Rio de Janeiro. Kranzniederlegung am Grabmal des Unbekannten Soldaten, Empfang bei Präsident Wladimir Putin im Kreml - das war das Programm.
Dann flog am Donnerstag eine große Gruppe von Sportlern Richtung Brasilien.
Viele Reden wurden gehalten, aber kaum ein selbstkritisches Wort war zu hören über das staatlich organisierte Doping, das die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA Russland vorhält. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat nur in einer umstrittenen Entscheidung einen Totalausschluss der Sportgroßmacht Russland für Rio abgewendet.
Stattdessen sieht sich Moskau sportpolitisch im Belagerungszustand, als Opfer von Intrigen. „Es ist eine zielgerichtete Kampagne gegen unsere Sportler“, gab Putin den Ton vor. Der Angriff verstoße gegen alle Rechtsnormen und die Olympische Idee.
Unter den Sportlern im Kreml waren sowohl die Glücklichen, die fahren dürfen, wie auch die Unglücklichen, die zuhause bleiben müssen. Sie alle trugen die erstmals präsentierte Olympia-Uniform in den Nationalfarben Weiß, Blau und Rot.
Die Stabhochspringerin und Doppelolympiasiegerin Jelena Issinbajewa, Opfer der Kollektivsperre für die Leichtathleten, vergoss vor Putin bittere Tränen. Rio wäre für sie absehbar der letzte große Auftritt gewesen. „Wir werden zu einem Nordkorea. Von allen Seiten werden wir angegriffen und können nichts machen“, sagte ihr Trainer Jewgeni Trofimow.
Die russischen Zeitungen zählen die Verluste: Von knapp 390 Athleten, die nach Rio fahren sollten, traf der Bannstrahl bis Donnerstag 112. Von 68 Leichtathleten darf nur die in den USA trainierende Weitspringerin Darja Klischina antreten. Acht Kanuten fehlen, sieben Schwimmer, vier Radfahrer, drei Gewichtheber.
Noch immer haben nicht alle Fachverbände über eine Zulassung der Russen entschieden. Es gibt Ärger über ein unterschiedliches Vorgehen der Organisationen. So entfallen bei den Ruderern ganze Bootsbesatzungen, weil einzelne Mitglieder gesperrt sind; die Segler durften hingegen ihre Besatzungen wieder vervollständigen. Letztlich rechnet der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), Alexander Schukow, mit etwa 270 Aktiven für Rio.
Mit geschwächter russischer Konkurrenz seien die in Rio vergebenen Medaillen weniger wert - das sagte Putin. Dafür werden die möglichen Siege umso mehr gelten. Auf jeder russischen Medaille sollte ein stolzer Zusatz stehen, forderte der Eisschnellläufer Sergej Lissin in der Zeitung „Iswestija“: „Er siegte in Rio, obwohl er Russe war.“
Handballerin Anna Sen versprach beim Abflug, „für die Athleten zu kämpfen, die disqualifiziert wurden“. Issinbajewa schloss ihre Rede im Kreml bitter: „Sollen all die pseudo-sauberen ausländischen Sportler sehen, dass sie sich mit den Falschen angelegt haben!“
Ob sich am russischen Sportsystem etwas ändern wird, bleibt offen. Altfunktionär Witali Smirnow (81), letzter sowjetischer und erster russischer NOK-Präsident, berichtete am Donnerstag, wie er eine neue, vom Staat unabhängige Anti-Doping-Kommission aufbauen will. Er sagte als erstes: „In Russland hat es nie staatliche Unterstützung für Doping gegeben und wird es nie geben.“ In Rio will Smirnow mit dem WADA-Chefermittler Richard McLaren sprechen.