Fleming: „Wir bekommen keine Extrapunkte für Respekt“
Berlin (dpa) - Kurz vor der Basketball-EM zeigt sich Chris Fleming voll fokussiert. Weder der Traum von Olympia noch die Verletzungsmisere sollen den Blick von der Heim-Vorrunde ablenken.
Der Bundestrainer spricht im Interview der Deutschen Presse-Agentur über die Erwartungen an Dirk Nowitzki, die EM-Ziele und einen ungewöhnlich selbstbewussten 21-Jährigen.
Per Günther, Lucca Staiger, Elias Harris, Daniel Theis, Maxi Kleber, Maik Zirbes - die Liste der Ausfälle für die EM ist lang. Inwiefern sehen Sie die Chancen bei der EM geschmälert?
Chris Fleming:Wir können nicht über das jammern, was nicht hier ist. Aber der Ausfall von Maik ist für uns schon ganz besonders bitter, weil er für uns in der Vorbereitung sehr, sehr wichtig war. Er war bis zu seiner Verletzung in den meisten Spielen unser bester Mann.
Aus den ausfallenden Spielern könnte man schon eine Starting Five bilden, von der der deutsche Basketball vor ein paar Jahren noch geträumt hätte...
Fleming:Ja, aber es ist, wie es ist.
Inwiefern ändern sich durch diese Verletzungen die Rollen der einzelnen Spieler auf den großen Positionen?
Fleming:Vor allem für Johannes Voigtmann hat der Ausfall von Maik Zirbes eine große Bedeutung. Er ist ein anderer Spielertyp, insofern haben wir auf der Centerposition jetzt andere Stärken und Schwächen.
Wird Dirk Nowitzki bei der EM nun öfter als geplant auch als Center fungieren?
Fleming:Ich glaube, das werden wir situativ entscheiden. Aber es ist definitiv eine Option für einzelne Spiele. Aber seine erste Position bleibt die des Power Forwards.
Wie sehen Sie die Rolle von Nowitzki während der EM? Es wird ja sehr viel darüber geredet...
Fleming:Viel zu viel. Dirk ist der beste europäische Spieler, der je gespielt hat. Er ist einer der besten Scorer aller Zeiten. Diese Wurf- und Scoringqualitäten, die hat er immer noch. Dazu hat er noch eine große Leadershiprolle. Er hatte in der Vorbereitung noch schwere Beine, aber seine Rolle für uns ist sehr wichtig.
Auch was den Respekt bei den Gegenspielern angeht?
Fleming:Mit Respekt kannst du dir nichts kaufen. Wir bekommen keine Extrapunkte für Respekt. Er hilft uns, weil ihn keiner aus den Augen lässt, er oft gedoppelt wird. Das müssen wir für uns nutzen.
Was sind die Erwartungen an Dennis Schröder in Bezug auf die Führung auf dem Parkett?
Fleming:Dennis muss dafür sorgen, dass alle involviert sind, er das Tempo auf dem Feld bestimmt und für unsere Gunsten nutzt. Alle erwarten eine große Leadershiprolle von Dennis und er wächst da sicher auch hinein. Er arbeitet gut daran, aber man muss ihm Zeit geben.
Haben Sie schon mal einen 21-Jährigen erlebt, der so abgeklärt und selbstbewusst wie Schröder ist?
Fleming:So selbstbewusst habe ich selten einen Menschen mit 21, mit 25 oder auch mit 35 kennengelernt.
Was sind insgesamt die Stärken der deutschen Mannschaft?
Fleming:Unsere große Stärke ist, dass wir sehr gut zusammenhalten. Offensiv sollte unsere Stärke der Schnellangriff sein. Ich glaube, dass wir defensiv durch gute Kommunikation und Verständnis unserer Raumverteilung die Wege sehr eng machen können.
Was ist das Ziel für die Vorrunde?
Fleming:Das Ziel im Moment ist Island zu schlagen. Wir sind nicht die großen Favoriten im Turnier und in der Vorrunde, da brauchen wir uns nicht groß mit Rechenspielen und Zielen zu beschäftigen.
Wer sind für Sie die großen Favoriten?
Fleming:Serbien - Vize-Weltmeister. Spanien - womöglich das meiste Talent. Frankreich - der amtierende Europameister. Diese drei.
Über allem schwebt die mögliche Olympia-Qualifikation. Haben Sie damit schon in der Vorbereitung als Motivation gespielt?
Fleming:Wenn wir realistisch sind, haben wir 2013 die Vorrunde nicht überstanden und 2014 zweimal gegen Polen verloren und fast zweimal gegen Österreich. Wir sollten uns mit dem Prozess beschäftigen, wie wir mit dieser Mannschaft zu einer Mannschaft werden, um die Vorrunde zu überstehen. Mit nichts anderem haben wir Zeit verbracht. Es ist ganz schön, dass alle über Rio sprechen wollen, aber wir sollten mittendrin in dem Prozess bleiben.
Sie sollen nach dem Turnier als Co-Trainer bei den Denver Nuggets tätig werden. Sie haben während der Vorbereitung alle Fragen dazu abgeblockt...
Fleming:Alles, was uns von der EM ablenkt, ist nicht so charmant.
ZUR PERSON:Der Amerikaner Chris Fleming (45) kommt 1994 nach Deutschland und steigt mit Artland als Guard zwei Jahre später in die 2. Bundesliga auf. Als Coach führt er die Dragons in die oberste Spielklasse und wird mit Bamberg viermal Meister. Seit Dezember 2014 arbeitet Fleming als Bundestrainer, er hat einen Zweijahresvertrag.