Boll nach Ovtcharovs EM-Sieg: Er wird mich überholen
Schwechat (dpa) - Dimitrij Ovtcharov ist ein Profi durch und durch. Bei der Sieger-Pressekonferenz in Schwechat wechselte der neue Tischtennis-Europameister gut gelaunt die Seiten und interviewte im perfekten Englisch die deutschen Doppel-Europameisterinnen Petrissa Solja und Sabine Winter.
Die Frage, ob er mit dem EM-Sieg nun seinen Vorgänger Timo Boll eingeholt habe, beantwortete Ovtcharov ebenso professionell: „Ich bin ihm näher gekommen. Wir sind vielleicht auf Augenhöhe.“
Von einer Wachablösung wollte der 25-Jährige nicht sprechen. Der sechsmalige Einzel-Champion Boll, der wegen Grippe und Schulterproblemen erstmals in seiner Karriere ein EM-Turnier verpasste, sendete Glückwünsche per SMS. „Der alte Europameister gratuliert dem neuen“, schrieb der 32-jährige Hesse und ergänzte: „Dima hat den Titel verdient, weil er hart dafür gearbeitet hat. Er war ganz klar der Beste.“
Ausnahmespieler Boll, der seit elf Jahren ohne Unterbrechung bester Deutscher in der Weltrangliste ist, rechnet schon bald mit einer Änderung. Derzeit trennen Boll auf Platz fünf und Ovtcharov auf sechs nur 13 Punkte. „Dass Dima mich sicherlich auch in der Weltrangliste überholen wird, ist für mich überhaupt kein Problem und auch völlig normal“, erklärte Boll. „Er ist deutlich jünger und spielt viel mehr internationale Turniere als ich.“
Kampflos wolle er sich aber nicht in die zweite Reihe schieben lassen. „Zuerst einmal ist es wichtig für mich, nun wieder in den richtigen Rhythmus zu kommen“, sagte der Düsseldorfer Bundesliga-Profi. Er bekräftigte seine Absicht, beim Weltcup in zwei Wochen in Belgien ein Comeback zu geben und will auch bei den German Open im November in Berlin starten.
Seit dem gemeinsamen Aufenthalt mit Ovtcharov in China, wo der alte und neue Europameister für zwei Teams in der heimischen Liga spielten, hat der WM-Dritte von 2011 kein internationales Turnier bestritten. Während der zehntägigen EM hat Boll in Höchst trainiert und Kontakt zu Bundestrainer Jörg Roßkopf gehalten. Über seine derzeitige Form ist wenig bekannt, der zweifache Olympia-Dritte Ovtcharov präsentiert sich seit Monaten in bärenstarker Verfassung.
Beim Weltcup in Verviers, wo zahlreiche Weltranglisten-Punkte für das November-Ranking vergeben werden, kann der Wechsel endgültig vollzogen werden. „Das Turnier muss erst gespielt werden“, sagte Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig und warnte vor voreiligen Schlussfolgerungen. Immerhin hat Boll das stark besetzte Turnier mit zwei Top-Chinesen schon zweimal 2002 und 2005 gewonnen.
Das Duell der deutschen Spitzenspieler um Punkte und Plätze spielt für beide Profis scheinbar eine untergeordnete Rolle. In ihren Statements betonen Ovtcharov und Boll lieber das Duell gegen die Tischtennis-Großmacht China. „Wir brauchen Timo gegen die Chinesen und wollen uns gemeinsam pushen“, erklärte der neue Europameister. Ähnlich argumentierte der alte Champion: „Dieser Titel wird Dima noch weiter pushen und das ist gut so. Denn somit hat Deutschland zwei heiße Eisen im Feuer für den sportlichen Wettstreit mit den Chinesen.“