Boxen Das Ende der Ära Klitschko?
Der Brite Tyson Fury entthront den ein Jahrzehnt lang ungeschlagenen Weltmeister. Dem Boxen wird die Wachablösung gut tun.
Düsseldorf. Das Ergebnis der Kampfrichter war noch nicht verkündet, da schrie John Fury bereits auf die englischen Journalisten ein: „Keiner von euch hat an uns geglaubt. Jeder hat gezweifelt. Jeder von euch“, polterte er und machte ein Gesicht, als würde er gleich aus dem Ring springen und beweisen, dass es in der Familie Fury durchaus mehr passable Boxer gibt als nur seinen Sohn Tyson. Der hatte zuvor Wladimir Klitschko entthront und durfte sich Sekunden nach dem Wutausbruch seines Vaters neuer Schwergewichts-Weltmeister nennen.
Damit hatte auch Gareth A. Davis nicht gerechnet, einer, der sich durchaus angesprochen fühlen durfte. Denn Davis hätte es besser wissen können. Seit Wochen hatte der Box-Experte des „Daily Telegraph“ nichts anderes gemacht, als Tyson Fury zu begleiten. Auch in Düsseldorf, wo der Kampf vor knapp 50 000 Fans im Fußballstadion über die Bühne ging, wich er tagelang nicht von dessen Seite. „Aber auch ich wusste nicht, wie weit er schon ist. Niemand wusste das, er hatte bisher keinen Gegner dieser Qualität“, sagte der überraschte Davis.
Um zu wissen, wie weit Fury mit seinen 27 Jahren bereits ist, reichte bei der anschließenden Pressekonferenz ein Blick in die Gesichter der beiden Boxer. Während Fury aussah, als hätte er maximal eine Partie Basketball gespielt, war Wladimir Klitschko mächtig gezeichnet. Und bot so ein Bild mit Symbolcharakter: Rechts die entspannt wirkende Zukunft des internationalen Showbetriebs Profiboxen, links der angeschlagene Ex-Weltmeister. Zwar sagte Klitschko, zuvor ein Jahrzehnt ungeschlagen und der uneingeschränkte Herrscher über seinen Sport, dass er den vertraglich geregelten Rückkampf auf jeden Fall boxen werde. Aber wirklich überzeugend wirkte der 39-Jährige mit seinem zerbeulten Gesicht nicht. Auch sein älterer Bruder Vitali war sich sicher, dass Wladimir zurückkommen werde. Aber er sagte auch, dass er ihn noch nie so schwach gesehen habe. „Ob es ein schlechter Tag oder mehr war, werden wir sehen“, sagte der Bürgermeister von Kiew und ließ erahnen, dass dem Schwergewichtsboxen eine neue Zeitrechnung ins Haus stehen könnte.
Und dafür steht nach Jahren wieder ein Engländer. Und was für einer. Die Klitschkos mögen wegen ihrer Disziplin und Erfolge von aller Welt hofiert und bewundert werden, aber von den wenigsten werden sie geliebt. Zu glatt und zu nett präsentierten sie sich all die Jahre. Dagegen steht nun Tyson Fury. Ein wahrer Exzentriker im Grenzbereich zum Lächerlichen. Einer, der ständig beleidigt und seine Gegner auch mal als Teufel bezeichnet. Während er selbst von Gott auserwählt sei.
Provokant, dreckig, immer etwas drüber. So präsentiert er sich auch im Ring. Auch gegen Klitschko, den er in einer Tour beleidigte, ihm auf den Rücken sowie den Hinterkopf schlug. Hin und wieder nahm er einfach die Deckung herunter, um ihn lächerlich zu machen. Das muss man alles nicht mögen. Aber es erzeugt Aufmerksamkeit. Dem Sport wird die Wachablösung gut tun. Denn Fury ist viel mehr als ein Rüpel aus einer schwierigen Familie. Er kämpft technisch stark, schaffte es, dass Klitschko keine einzige ordentliche Rechte ins Ziel brachte. Zudem ist er für seine Größe (2,06 Meter) extrem beweglich und aktiv. Außerdem hat er Humor und Entertainer-Qualitäten. Noch im Ring sang er für seine Frau. Auch bei der Pressekonferenz gab er sich außerordentlich höflich. Er sei glücklich, wenn er irgendwann nur halb so erfolgreich wäre wie Klitschko.
Ob er das wird, zeigt sich vielleicht schon in einigen Monaten, wenn der Rückkampf ansteht. „Wo, wie und wann besprechen wir ein anderes Mal“, sagte der bedröppelte Klitschko und verschwand in die Nacht.