Olympia in Pyeongchang Claudia Pechstein wird Achte: Der misslungene Plan der Wir-AG

Claudia Pechstein wird über 5000 Meter Achte und lässt ihrer Enttäuschung keinen Raum. Sie will bis 2022 weitermachen. Dann ist sie 50.

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Pyeongchang. Alles oder nichts. Darum ist es gegangen. Doch: Das Vorhaben klappt nicht. Daran gibt es nichts zu deuten, das weiß auch Claudia Pechstein. Schon nach sechs, sieben Runden spürt sie, dass kein Druck mehr da ist. Die Kraft kommt nicht mehr auf dem Eis an, im Duell mit der Kanadierin Ivanie Blondin hält die Uhr Runde um Runde mit Verspätung an. „Mein Plan wäre genau richtig gewesen“, sagt Claudia Pechstein, und es klingt nach einer Feststellung, nicht nach einer Rechtfertigung.

Die Frage nach dem Warum stellt sie sich selbst — schon auf dem Eis im Gangneung Oval. Dort findet sie auf die Schnelle keine Lösung, und so gleich nach dem enttäuschenden Platz acht unter den zwölf Starterinnen auf ihrer Paradestrecke, den 5000 Metern, auch keine Antwort. „Das gehört zum Sport“, meint die Berlinerin.

Eine vielfach ausgesprochene Floskel in diesen olympischen Tagen. Claudia Pechsteins Folgerung aus dem Frusterlebnis aber überrascht dann doch: „Die nächste Chance ist in vier Jahren.“ Bitte? Claudia Pechstein wird am Donnerstag 46 Jahre alt. Doch wie sie in der Mixed-Zone steht, zu ihrem nicht unumstrittenen Lebensgefährten, Mentalcoach und Sprachrohr Matthias Große aufblickt, als ob sie ihm hörig sei, wirkt sie schüchtern wie ein Mädchen

Es dauert auch nicht lange, bis Matthias Große die Gesprächsführung übernimmt. „Wir sind auf Medaille gelaufen, haben alles gegeben, angegriffen. Aber heute haben wir verloren“, sagt der 50-Jährige, „also machen wir, machen wir“ — er stockt, schaut seine Freundin an, die brav den Satz vollendet: „machen wir jetzt vier Jahre weiter. Dann muss es nächstes Mal halt Gold werden“. Bis zu den nächsten Olympischen Spielen, 2022. In Peking. „Warum nicht?“, sagt Pechstein, „wenn ich dann noch lebe.“

Pyeongchang sind die siebten Winterspiele für sie. Mehr hat keine Frau geschafft. Mit fünf Goldmedaillen, je zweimal Silber und Bronze ist sie die erfolgreichste deutsche Wintersportlerin bei Olympia. Und doch spürt sie offenbar noch immer ausreichend Energie in sich, um für ein zehntes Edelmetall zu kämpfen. Noch einmal vier Jahre Vorbereitung für etwa sieben Minuten. Am Freitag sind es 7:05,43 Minuten und gewaltige 15,20 Sekunden Rückstand auf die 22-jährige Olympiasiegerin Esmee Visser aus den Niederlanden. Doch wenn Pechstein etwas will, zieht sie das gnadenlos durch.

Ihrem Sport ordnet sie alles unter. Schon immer. Wer es, wie manche Konkurrentinnen, weniger nett ausdrücken mag, nennt es rücksichtslos, weil die Bundespolizistin einzig auf sich schaut. Pechstein polarisiert, ist unbequem. Und Kämpferin. Das weiß spätestens seit 2009 auch, wer sich in der Nischensportart Eisschnelllaufen nicht auskennt. Damals wird sie wegen eines erhöhten Blutwertes vom Weltverband ISU für zwei Jahre gesperrt. Einen positiven Dopingtest gibt es nicht. Dagegen wehrt sich Pechstein. Verbal. Und juristisch. Auf allen Ebenen. Ein medizinisches Gutachten belegt eine von ihrem Vater geerbte Blutanomalie. Die Deutsche klagt gegen ihre Sperre vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas, streitet um eine Schadensersatzklage. Und es beginnt eine lange, nervenzehrende und sehr teure Auseinandersetzung mit vielen negativen Urteilen, einer Hausdurchsuchung, Selbstanzeige und verpassten Spielen in Vancouver 2010.

Davor lernt die Athletin Matthias Große kennen — und lieben. Seitdem kämpfen sie als Wir-AG. Doch der Unternehmer ist wie Pechstein selbst für viele eine Reizfigur. Aus Furcht vor dem Mann, der an der Militärakademie in Minsk studiert hat, äußern einige Athleten ihre Kritik nur hinter vorgehaltener Hand. Doch in Pyeongchang dringt schnell durch, dass Pechstein, die als Kandidatin für den Posten des deutschen Fahnenträgers zur Wahl gestanden hat, nicht mal alle Stimmen aus dem Eisschnelllauf-Lager erhalten haben soll. Die nächste Chance kommt. In Peking?