Vor dem Super Bowl Der „Einstein“ des Football

Sean McVay übernahm die Los Angeles Rams 2017 als unbeschriebenes Blatt. Zwei Jahre später könnte der 33-Jährige der jüngste Trainer werden, der je einen Super Bowl gewonnen hat.

Sean McVay, Cheftrainer der Los Angeles Rams, kommt zur NFL Super Bowl Opening Night.

Foto: dpa/David J. Phillip

Vor gerade einmal zwei Jahren und einem halben Monat machten die Los Angeles Rams einen 30-Jährigen zum jüngsten Cheftrainer der 1970 gestarteten Super-Bowl-Ära der National Football League. Sean McVay, geboren in Ohio, aufgewachsen in Georgia. Bis zu jenem Tag im Januar 2017 war der Enkelsohn des früheren General Managers der San Francisco 49ers, John McVay, bereits als Assistenz-Trainer in der NFL tätig. Doch für viele war er trotzdem ein unbeschriebenes Blatt. In der Nacht zu Montag (Spielbeginn um 0.30 Uhr) könnte McVay im Alter von 33 Jahren der jüngste Hauptverantwortliche an der Seitenlinie werden, der je die begehrte Vince-Lombardi-Trophäe in den Händen gehalten hat – falls die Rams im 53. Super Bowl die leicht favorisierten New England Patriots schlagen sollten.

Die Skepsis um den jungen
Trainer ist längst verflogen

Als die Rams den jungen Mann von den Washington Redskins verpflichteten, erntete die Chefetage des Champions von 2000 gemischte Reaktionen. Die einen belächelten die Entscheidung, manch einer war davon überzeugt, dass McVay die Verantwortung als Cheftrainer noch nicht würde schultern können. Ausgerechnet er sollte den sportlich seit eineinhalb Dekaden strauchelnden Klub wieder in die Spur bringen. Ein Neuling, der in der Kabine und an der Seitenlinie Spielern Vorgaben erteilen soll, die deutlich älter sind als er selbst?

Gedankenspiele, die längst verflogen sind. Selbst bei den Kritikern. McVay hat die Los Angeles Rams erstmals seit 2002 wieder in den Super Bowl geführt – und diejenigen, die sowieso begeistert von der Entscheidung der Rams gewesen sind, fühlen sich nur bestätigt. In bisher 35 Spielen unter seiner Regie gab es 26 Siege und nur neun Niederlagen. Als am Ende der regulären Saison vor fünf Wochen rund ein halbes Dutzend Cheftrainerposten in der NFL neu besetzt werden mussten, waren sie plötzlich alle auf der Suche nach dem „nächsten Sean McVay“.

Erinnerung an Spielzüge ausgeprägter als ans Mittagessen

Doch was macht McVay aus? Er ist ein akribischer Arbeiter, detailversessen und mit einem bemerkenswerten Gedächtnis ausgestattet. Das hebt ihn auf den ersten Blick kaum vom Gros seiner Kollegen ab. Ein entscheidender Unterschied mag dieser sein: Der sportliche Leitwolf der „Widder“ kann sich tatsächlich an jedes Detail jedes Spielzugs aus dem Saisonverlauf erinnern. „Wenn man mich donnerstags fragt, was ich dienstags zum Mittagessen hatte, so weiß ich das aber nicht mehr“, sagte er einst in einem Fernsehinterview.

Das Geheimnis des McVay‘schen Erfolgs geht jedoch weit über taktische und schematische Feinheiten sowie das variable Offensivspiel hinaus. Die Spieler der Rams schätzen seine Führungsqualitäten, auf und abseits des Feldes. Das Team steht über dem Einzelnen. „Er ist der Einstein des Football“, sagte Wide Receiver (Passempfänger) Khadarel Hodge in dieser Woche über seinen Trainer. Teamkollege und Star-Runningback Todd Gurley ergänzte: „Er bringt immer eine positive Einstellung. Jeden Tag. Für so einen Trainer spielst du gerne.“ McVay ist es in kurzer Zeit gelungen, eine Mannschaft zu formen, die seine Art des Footballs verinnerlicht und bisweilen nahe der Perfektion umgesetzt hat.

„Es geht nicht immer um das, was wir als Coaches für richtig halten. Die Meinung der Spieler ist genauso wichtig. Gegenseitige Unterstützung und diese Einstellung hat uns bis hierher gebracht. Die Spieler arbeiten füreinander. Das wollen wir beibehalten“, sagte McVay während einer Pressekonferenz im Team-Hotel der Rams unter der Woche. Wenn der Rams-Trainer spricht, lauschen nicht nur die Spieler gebannt. Selbst die erfahrensten Medienvertreter Nordamerikas hängen beinahe an den Lippen dieses 33-Jährigen. Am Sonntag könnte der kometenhafte Aufstieg des Sean McVay, der ein wenig an den Hoffenheimer Fußballtrainer Julian Nagelsmann erinnert, seinen Höhepunkt erreichen. Oder den vorläufigen.