Der Fall Heinz Müller: Dem Profifußball droht ein Systembruch

Der Arbeitsrechtler Klaus Brondics bezeichnet den Fall des ehemaligen Bundesliga-Torwarts Heinz Müller als eine Chance für einen Neustart des Profifußballs. Der Ex-Spieler von Mainz 05 hat auf eine unbefristete Festanstellung geklagt. Dienstag fällt das Urteil.

Der ehemalige Torwart Heinz Müller (l) und sein Anwalt Horst Kletke im Gerichtssaal. Archivbild.

Foto: Fredrik von Erichsen

Aachen/Erfurt. Vor der Urteilsverkündung des Bundesarbeitsgerichts im Fall Heinz Müller am DIenstag erklärt der Direktor des für die Region Aachen zuständigen Arbeitsgerichts, Klaus Brondics, warum es sinnvoll sein könnte, dass Profisportler künftig nicht mehr fest angestellt, sondern als selbstständige Unternehmer für Vereine arbeiten würden.

Herr Brondics, würden Sie eine Prognose wagen, wie das Bundesarbeitsgericht entscheiden wird?

Klaus Brondics: Das Bundesarbeitsgericht wird sich zu entscheiden haben, welche Folgen sein Urteil haben wird. Soll der Profi-Fußball aus den Angeln gehoben werden oder soll das System weiter gelten? Wie auch in den beiden Instanzen vorher werden die Arbeitsrichter prüfen, ob die Befristung von Profifußballern der Eigenart der Arbeitsleistung entspricht. Zuletzt hatte das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz diese Frage bejaht mit dem Hinweis: Der Aspekt des Verschleißes von Profispielern rechtfertigt zeitliche limitierte Verträge.

Welche Gegenposition steht im Raum?

Brondics: Verschleiß gibt es auch in anderen Berufen. Wie kann ich denn erklären, dass ich einen 18-jährigen Profi nur für drei Jahre einstelle? Nach drei Jahren ist er hoffentlich nicht verschlissen. Wenn ich nach deutschem Recht aber einen befristeten Vertrag wirksam abschließe, muss ich beim Abschluss sicher darlegen können, wie die Voraussetzungen sind. Das ist aber bei Sportlern Kaffeesatzleserei. Er kann sich verletzen oder durchstarten.

Ist Verschleiß bei der Frage der Befristung das gravierende Kriterium?

Brondics: Verschleiß und das Publikumsbedürfnis nach neuen Attraktionen ist das Hauptargument der Verbände und Vereine. Anerkannt sind die Befristungen längst im Bereich von Rundfunk und Theater. Das Publikum möchte mal irgendwann einen anderen Dirigenten erleben, damit die Mahler-Sinfonie anders klingt. Aber kann man diese Regelung auf den Profisport übertragen? Ich möchte schönen Fußball sehen, egal durch wen. Wir haben in der Branche die Befristungen als gottgegeben angenommen, weil es keinen Kläger gab. Jetzt befürchte ich, dass sich bei der Urteilsfindung die normative Kraft des Faktischen durchsetzt, also das Motto: Das haben wir immer so gemacht bislang. Damit würden wir eine Chance zur überfälligen Generalrevision des Profifußballs verpassen. Nach meiner Auffassung können wir den Profifußballer nicht mehr wie einen klassischen Arbeitnehmer behandeln.

Können Sie sich mit dem Verschleißgedanken juristisch anfreunden?

Brondics: Ich habe da Bedenken. Die ganze Nation freut sich, dass der 72-jährige Jupp Heynckes quietschfidel auf der Bank des FC Bayern sitzt. Ich erkenne da keinen Verschleiß. Das Argument wirkt sehr bemüht.

Was ist Ihre Beobachtung?

Brondics: Die Dimension und die Möglichkeiten der Profis haben sich unglaublich verschoben in den letzten Jahrzehnten. Spieler können inzwischen noch parallel zu ihrem Beruf weitere Werbeverträge abschließen. Ich kann mir wirklich nur schwer vorstellen, dass ein Profi der gehobenen Klasse so schutzwürdig wie ein normaler Arbeitnehmer ist, der im Supermarkt an der Kasse für 2400 Euro sitzt.

Klaus Brondics

Vereine würden jegliche Planungssicherheit verlieren, wenn es keine Befristung mehr geben dürfte.

Brondics: Das wäre aus Club-Sicht der „worst case“. Dann können wir in diesem System nicht weitermachen, denn dann wäre Lothar Matthäus heute noch beim FC Bayern auf der Ersatzbank. Natürlich ist anzuerkennen, dass aufgrund der körperlichen Beanspruchung bei den Profis früher als bei vielen anderen Arbeitnehmern eine Zäsur erfolgen muss. Wenn das Bundesarbeitsgericht die Befristung kippen sollte, wäre das keine Katastrophe für den Fußball, sondern eine gute Möglichkeit für einen zukunftsorientierten Neustart. Als das Bosman-Urteil gefällt wurde, dachten die Beteiligten auch, dass das System kippt. Es war nicht so.

Die Verbände befürchten einen kompletten Kollaps.

Brondics: Es wäre ein Systembruch. Aber er wäre verkraftbar.

Ein naheliegender Ansatz wäre, die Profis als Selbständige mit allen daraus erwachsenen Verpflichtungen zu behandeln.

Brondics: Das hielte ich für die ehrlichste Variante. Jede andere Sichtweise wirkt doch konstruiert. Betrachten wir mal den Fall des Beschäftigungsanspruches: Jeder Arbeitnehmer schuldet eine Arbeitsleistung. Wenn zum Beispiel ein Maurer von seinem Arbeitgeber aus irgendwelchen Gründen nicht auf die Baustelle gelassen wird, bleibt dem Maurer der einklagbare Anspruch auf Beschäftigung. Der Fußballer schuldet den Einsatz als Teamspieler. Wenn er suspendiert wird, kann er auf dem Klageweg nicht erreichen, dass er im Team landet, sondern nur, dass er am geregelten Trainingsbetrieb teilnehmen darf. Erkennbar bekommt er hier weniger Rechte, weil es sich nicht anderes regeln lässt.

Bewerten Richter die Vorgänge nur juristisch oder berücksichtigen sie die gravierenden Auswirkungen ihrer Entscheidungen?

Brondics: Als Richter muss ich den einzelnen Fall entscheiden und auch abwägen. Ich kann aber keine Lösung präsentieren, weil sie vermeintlich besser ins Gesamtbild passt.

Sind denn vor dem Gesetz nicht alle gleich, und für den kommerzialisierten Fußballmarkt gelten andere Regeln?

Brondics: Nein, vor dem Recht müssen alle gleich sein. Es gibt aber Leute, die aufgrund ihrer hohen Gehälter darauf verzichten, gewisse Dinge wie zum Beispiel einen zeitlich eingeschränkten Sommerurlaub einzuklagen.

Ein Wegfall der Befristung würde auch für andere Sportarten gelten?

Brondics: Man wird es übertragen müssen zum Beispiel auf den Handball, Basketball oder vielleicht auch auf den Motor- oder Radsport, bei dem es auch Saisonverträge gibt.

Auch Trainer könnten dann nicht mehr auf Zeit angestellt werden? Ein Verein wie zum Beispiel der überhitzte HSV hätte gleichzeitig zehn Trainer auf der Gehaltsliste?

Brondics: Ja, das wäre so. Ein Trainer wird nicht fristgestellt, sondern nur freigestellt. Bislang hat noch kein Trainer die Befristung angegriffen. Vielleicht kann man seine Rolle auch noch etwas anders bewerten als die des Spielers. Wenn aus Vereinssicht der Trainer keine gute Arbeit abliefert, kann es sinnvoller sein, ihn statt eines Dutzend Spieler zu entlassen.

Kann man Ihre Einschätzung so zusammenfassen, dass Sie nicht davon ausgehen, dass die Regelung verändert wird und dass Sie dies eher für eine vertane Chance halten?

Brondics: Ich will nicht spekulieren. Mich würde es aber nicht extrem überraschen, wenn die Befristung für unwirksam erklärt würde. Es gibt viele gute Argumente, um festzustellen, dass die bisherige Praxis nicht dem Gesetz entspricht. Wenn die Klage abgewiesen würde, würde sich die Fußballbranche freuen, für andere Bereiche wäre die Botschaft nicht so gut. Sind Lehrer nicht einem sehr viel höheren beruflichen Verschleiß ausgesetzt als 20-jährige Fußballer? Wenn ich die Befristung beim Profi zulasse, könnte der Umkehrschluss sein, auch Lehrerstellen zu befristen.