Der Mythos, der Real Madrid umgibt

Das Stadion Bernabeu strahlt besondere Faszination aus. Am Mittwoch muss dort der FC Bayern München bestehen.

Foto: witters

Madrid. Am Ende der allerersten Begegnung standen die deutschen Freizeitkicker ehrfürchtig Spalier und applaudierten den Fußballgöttern in Weiß. In den wilden 70er und 80er Jahren wurden die Duelle im Wortsinn bis aufs Messer geführt, oft voller Härte, Häme und sogar Hass. Inzwischen sind die Europapokalspiele zwischen Real Madrid und den deutschen Topvereinen emotionale, gleichwohl zivilisierte Hochglanzduelle auf Weltniveau. Nur eins wird, wenn der FC Bayern München am Mittwoch zum zwölften Mal in Madrid antritt, sein wie immer in den vergangenen 54 Jahren: Der Respekt vor einem Stadion, dessen Mythos schon die größten Mannschaften der Welt zu einer Ansammlung von Feiglingen hat werden lassen. Das Estadio de Bernabeu, gelegen an der Paseo de la Castellana, ist nicht das schönste Stadion der Welt, erst recht nicht das größte, es bietet auf engstem Raum 80 925 Zuschauern feinsten Komfort, hat fünf Renovierungen hinter sich und eine vor sich — für 400 Millionen Euro.

Doch das alles ist nicht das Besondere an dieser Trutzburg eines Clubs, der immer mehr sein wollte als der erfolgreichste Fußballverein der Welt: Real soll und will der größte, der berühmteste Klub sein, eine ewig lebende Legende. Das Stadion passt zu diesem Anspruch. „Dieses Denkmal an den Fußball verkleinert den Rivalen. Der Respekt, den die Gegner Real zollen, verliert seine Grenzen und wird zu offener Angst, die sich resigniert der Präpotenz einer Elf ausliefert, die wie keine andere gelernt hat, diese psychologische Waffe zu nutzen.“ Geschrieben hat diese Zeilen einer der Großen der Madrider Fußballgeschichte: Jorge Valdano, ein Argentinier, der für Real stürmte, es trainierte und ihm als Sportdirektor diente.

Valdano war dabei, als die Merengues — wie die Madrilenen in Spanien genannt werden, — am 11. Dezember 1985 Borussia Mönchengladbach 4:0 überrannten. Nach einem 1:5 im Hinspiel, gefeiert von 100 000 Menschen, die auch nach der Blamage von Düsseldorf ihr Team zu einer Sensation trugen. Oft ist es Madrid gelungen, einen Rückstand aufzuholen. Und manches Mal war es nicht nur die fußballerische Klasse, die das Blatt wendete, sondern auch ein Schiedsrichter, der in dieser Atmosphäre der totalen Entschlossenheit seltsame Entscheidungen traf. So wie Leonardus van der Kroft. Der Niederländer gab am 17. März 1976 zwei einwandfreie Gladbacher Tore nicht; sogar der „Spiegel“ empörte sich: „Gladbachs gestohlenes Wunder.“

Die Borussia legte — natürlich vergeblich — offiziell Beschwerde ein, Kapitän Berti Vogts sprach von Betrug: „Ich will den Europapokal gar nicht mehr, denn ich weiß jetzt, dass man ihn kaufen kann.“ Das 1:1 reichte Real nach dem 2:2 im Hinspiel zum Einzug ins Halbfinale — und dort kam es zum ersten Showdown mit Bayern München. Nach einem 1:1 flogen die Fäuste nach einem für heutige Verhältnisse kaum vorstellbaren Skandal: Ein Real-Fan stürmte den Platz, schlug den Bayern-Torschützen Gerd Müller nieder und anschließend auch den österreichischen Schiedsrichter Felix Linemayer. Eine Platzsperre des königlichen Klubs verfügte die Uefa nicht, das 0:2 in München schien den Funktionären wohl Strafe genug.

Es war das erste Mal, dass sich die Königlichen einem deutschen Klub im Europapokal beugen mussten. Danach waren gerade die Duelle mit den Bayern aufgeladen. Am schlimmsten war es 1987, als die Münchener mit einem 4:1-Hinspielsieg nach Madrid kamen. Klaus Augenthaler, der die stolzen Spanier mit einer Stierhörner-Geste bis aufs Blut gereizt hatte, verlor selbst die Nerven und musste nach einer halben Stunde wegen eines Revanchefouls vom Platz. Dank des überragenden Jean-Marie Pfaff verloren die Bayern nur 0:1, was wie ein Sieg schmeckte — aber erst, als alle in Sicherheit waren. Denn es flogen Eisenstangen und ein Messer in den Strafraum.

„Die Hölle von Madrid“ — kein Vorbericht kommt seit den ersten Gastspielen in Bernabeu ohne dieses Klischee aus. Besser beschreibt Jorge Valdano dieses Phänomen mit dem Begriff „miedo escenico“ — Lampenfieber übersetzen es die einen, Angst vor der Kulisse die anderen. Die, die dieses Gefühl spürten, sagen, man müsse es am eigenen Leib erlebt haben, um es überhaupt zu begreifen.