DEB-Team will Gunst der Stunde nutzen

Helsinki (dpa) - Pat Cortina stand etwas ratlos da und fragte Stürmerstar Marcel Goc: „Kennst du den Ausdruck "Rechenschieber"?“ Der NHL-Profi schüttelte den Kopf, vielleicht auch, weil der in Kanada geborene Eishockey-Bundestrainer den Begriff eher wie „Räkenschibör“ aussprach.

Als der Coach von den Reportern aufgeklärt wurde, erzählte er: „Ah, das ist doch das Ding, mit dem man ausrechnen kann, welche Möglichkeiten man hat. Als ich nach Deutschland kam, habe ich so etwas mal geschenkt bekommen.“ Weil Cortina aber merkte, worauf die Journalisten hinauswollten, stellte er schnell klar: „Ich werde diesen Räkenschibör hier nicht brauchen.“

In der WM-Vorrundengruppe in Helsinki ist für das deutsche Team vor den Partien gegen Lettland am Samstag und gegen die USA am Sonntag wieder alles möglich. Die Niederlage der Slowakei am Donnerstagabend gegen die Letten (3:5) „hilft uns auch“, fand Stürmer John Tripp. „Es ist offener geworden“, meinte dessen Kölner Kollege Moritz Müller, ergänzte aber: „In beide Richtungen“.

Die Tabellenkonstellation lässt etliche Optionen offen: Gewinnt Deutschland jeweils nach 60 Minuten gegen Lettland, die USA und zum Abschluss gegen Frankreich, ist die Viertelfinal-Teilnahme sicher. Verliert das DEB-Team als Außenseiter gegen die Amerikaner, gewinnt aber die beiden anderen Spiele, ist die K.o.-Runde ebenfalls noch möglich. „Das Viertelfinale ist greifbarer geworden“, sagte Müller - nun will die Auswahl die Gunst der Stunde nutzen.

Der überraschende Erfolg der Österreicher gegen die Slowaken vom Freitag (2:1 nach Penaltyschießen) erhöhte aber den Druck im Abstiegskampf. Dank des siegbringenden Penaltys von NHL-Profi Thomas Vanek zog Team Austria an der Cortina-Auswahl vorbei auf Platz sechs. Verliert Deutschland am Samstag gegen die Letten, ziehen diese in der Tabelle vorbei und die Cortina-Auswahl wäre plötzlich Letzter.

„Ich weiß, das ist ein Klischee“, entschuldigte sich Cortina am Freitag, „aber wir konzentrieren uns jetzt nur auf die Partie gegen Lettland.“ Dass die Aufgabe schwer genug wird, hatten die Balten am Vorabend gegen Vizeweltmeister Slowakei gezeigt - und dass auch Favoriten schlechte Tage haben, kurz zuvor die Russen beim historischen 1:2 gegen Frankreich. „Glaubt es oder nicht“, erzählte Cortina, „aber ich habe den anderen im Trainerteam schon davor gesagt, dass die Franzosen die Russen schlagen werden. Der Abstand zwischen den Topteams und den anderen ist nicht mehr so groß.“

Cortina dürfte froh gewesen sein, dass seine Spieler die beiden Überraschungen in ihrer Gruppe nicht am Fernseher verfolgt haben. Am spielfreien Donnerstag hatte sich die Truppe in Helsinki fernab der Trainingshalle die Zeit vertrieben, am Abend stand ein gemeinsamer Besuch im Steakhaus sowie ein paar Runden Bowling auf dem Programm. „Mal was anderes als Eishockey“, meinte Tripp. Bester Bowler war Müller, der von einem „Sahnetag“ sprach und als Erfolgsrezept anführte: „Ich habe einfach die Augen zugemacht und getroffen.“

Die Letten, gegen die Deutschland in bislang 25 Spielen elfmal gewann und zehnmal verlor, werden der Abwehr die volle Aufmerksamkeit abverlangen, wie Cortina prophezeite: „Die haben gute individuelle Klasse im Angriff, sind in Eins-zu-eins-Situationen sehr talentiert.“

Kriegt die Truppe des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) den Weltranglisten-Elften um Toptorjäger Lauris Darzins in den Griff, wer weiß, vielleicht beginnt der Bundestrainer doch noch zu rechen. Einen Rechenschieber hat er in Finnland aber gar nicht dabei. „Damit könnt ihr ja spielen“, gab er den Journalisten noch mit auf den Weg.