Jagr: Der Mythos lebt, die Magie ist weg
Boston (dpa) - Er ist der Kultstar auf Kufen, ein Eishockey-Idol in seiner tschechischen Heimat und überall auf der Welt. Jaromir Jagrs Rückennummer 68 hat ihren festen Platz in der Sportgeschichte.
Und trotz seiner 41 Lenze hat der Mann, dessen Haare nicht mehr ganz so lang sind wie zu seinen besten Zeiten, immer noch richtig Spaß am Spiel in der stärksten Eishockey-Liga der Welt. „Ich liebe Eishockey und ich würde gern weiterhin in der NHL spielen. Aber wenn das nicht klappt, höre ich auf keinen Fall auf, sondern gehe zurück nach Tschechien und spiele dort“, sagte Jagr.
Seit Anfang April stürmt der beste Europäer der NHL-Geschichte für die Boston Bruins, ist Teamkollege von Dennis Seidenberg. „Es ist schon beeindruckend, wenn man ihn auf dem Eis sieht. Und von seiner Erfahrung können wir hoffentlich in den Playoffs profitieren“, sagte Seidenberg der Nachrichtenagentur dpa. Im Viertelfinale spielt Boston gegen die New York Rangers, führt in der Serie mit 1:0. Als sich beide Vereine im April 1973 letztmals in der K.o.-Runde trafen, war Jagr bereits 14 Monate alt. Und als der Kufencrack aus Kladno 1991, gleich in seiner ersten NHL-Saison an der Seite von Mario Lemieux mit den Pittsburgh Penguins Meister wurde, war sein heutiger Bruins-Mitspieler Tyler Seguin noch gar nicht geboren.
Jagr ist auf jeder seiner vorherigen fünf NHL-Stationen Kult gewesen und ist es umgehend auch in Boston geworden. Eine lokale Firma kreierte nach seiner Verpflichtung von den Dallas Stars am 2. April sofort T-Shirts, die sich zum Verkaufsschlager entwickelten - von „Jagrmeister“ bis zu „We got the moves likes Jagr“ in Anlehnung an den Erfolgssong „Moves like Jagger“ von Maroon 5.
Doch so groß der Hype um ihn auch ist, seine Magie hat Jagr längst verloren. Er lebt von seinem Namen, vom gestern und vorgestern. Aber der Jaromir Jagr aus dem Mai 2013 wirkt auf dem Eis mitunter alt und langsam. Hin und wieder blitzt seine Klasse noch auf, niemand schirmt den Puck so gekonnt ab wie er, doch viel zu oft kurvt er mittlerweile wirkungslos übers Eis. Und seinen einst gefürchteten Torinstinkt hat er auch verloren. In 19 Spielen für Boston hat Jagr nur zweimal getroffen, aber immerhin elf Tore vorbereitet.
Es passte ins Bild, dass er aufgrund eines Schlittschuh-Defekts auf der Bank saß, während seine zweite Sturmreihe ohne ihn am Montag das 5:4-Siegtor in der Verlängerung gegen die Toronto Maple Leafs schoss und so das größte Comeback in einem siebten Spiel der Playoff-Geschichte krönte. Boston hatte zehn Minuten vor Schluss noch mit drei Treffern hinten gelegen.
„Ich war ein besserer Spieler als ich noch in New York war“, gibt Jagr zu. Die Rangers waren 2004 bis 2008 seine dritte NHL-Station, eher er für drei Jahre in der russischen KHL verschwand. 2011 tauchte er wieder in Nordamerika auf. Ein Jahr Phildelphia Flyers, zweieinhalb Monate Dallas Stars und nun Boston. Hier betonte Jagr bereits bei seiner Vorstellung: „Ich bin keine 25 mehr.“ Auch in der finalen Saisonphase hat Bruins-Trainer Claude Julien noch immer keinen richtigen Platz für den mit 681 Treffern derzeit besten Torschützen aller aktiven NHL-Profis gefunden. Jagr rotiert zwischen der dritten und zweiten Reihe - hat damit aber kein Problem.
„Ich bin hier um zu helfen, nicht, um mir einen Namen zu machen - ich denke, das habe ich schon im Verlauf meiner Karriere geschafft“, so Jagr. In Washington und New York war er noch das Gesicht des Vereins, sollte „sein“ Team zum Titel führen. In Boston ist er einer von vielen - hier heißen die Stars Zdeno Chara oder Patrice Bergeron.
Sie haben 2011 mit den Bruins den Stanley Cup gewonnen, Jagrs letzte Meisterschaft liegt bereits 21 Jahre zurück. Damals gewann Pittsburgh die Finalserie gegen die Chicago Blackhawks glatt mit 4:0, Jagr war 21 Jahre jung, hatte langes, lockiges Haar und schoss zwei Tore. Heute zieren graue Barthaare sein Kinn. Der einstige Eishockey-Entertainer ist nicht nur sportlich in die Jahre gekommen.