Ex-Welthandballer Daniel Stephan: „Uns fehlen Führungsspieler“
Vor der Handball-WM in Spanien kritisiert unser Experte, der Ex-Welthandballer Daniel Stephan, die Absagen deutscher Spieler — und die Entwicklung des deutschen Teams.
Düsseldorf. Am Freitag beginnt die Handball-Weltmeisterschaft in Spanien. Die deutsche Mannschaft spielt zum Auftakt am Samstag (16 Uhr) gegen Brasilien. Tunesien, Argentinien, Montenegro und Frankreich sind weitere Gegner in der Sechsergruppe. Für das Achtelfinale muss das DHB-Team mindestens Vierter werden. „Das müssen wir schaffen“, sagt der Ex- Nationalspieler Daniel Stephan, der 1998 zum weltbesten Handballer gewählt wurde — und unsere WM-Berichterstattung als Experte mit Kolumnen begleiten wird.
Daniel Stephan, Sie sind der wohl einzige Welthandballer, der nie eine WM gespielt hat.
Daniel Stephan: Das ist wahr. Ich stand aber 1995 in Island im Kader, nur leider nie auf dem Spielbericht (lacht). Und 1997, das einzige Mal, als mich keine Verletzung gehindert hätte, waren wir nicht qualifiziert. Dafür habe ich jede EM mitgemacht — und drei Mal Olympia.
Die beiden besten deutschen Rückraumspieler Holger Glandorf und Lars Kaufmann haben die anstehende WM abgesagt. Es hagelt Kritik.
Stephan: Lars Kaufmann wurde operiert, hat kein Spiel in der Bundesliga gemacht, da habe ich Verständnis. Bei Glandorf sieht es anders aus: Er spielt jede Woche Bundesliga, Champions League, macht hervorragende Spiele. Die Absage hat einen faden Beigeschmack. Natürlich muss man vorsichtig sein, er hat gesundheitliche Gründe angegeben, und ich bin kein Arzt. Aber er war auch gesund genug, nach New York zu fliegen und dort ein „Juxspiel“ zu machen. Das ist die absolute Identifikation nicht zu erkennen.
Wer kann diese wichtigen Spieler ersetzen?
Stephan: Sven-Sören Christophersen ist ein echtes Positivbeispiel: Er war im Dezember am Knie verletzt, hatte aber immer die WM als Ziel. Und er hat es mit der Unterstützung des Vereins in Berlin geschafft. Er brennt. Und er kann Verantwortung im Rückraum übernehmen, das hat er 2012 bei der EM gezeigt. Auch vom Kieler Patrick Wiencek am Kreis erwarte ich viel. Er haut sich voll rein, wirkt manchmal unorthodox, kann aber mitreißen.
Der Rückraum scheint insgesamt die Problemzone zu sein.
Stephan: Für die Mittelposition mit Haaß und Strobl wie für den gesamten Rückraum gilt: Im Vergleich zur Weltspitze sind wir da ein bisschen limitiert.
Auch der Linksaußen Uwe Gensheimer fehlt dem Team.
Stephan: Sehr sogar, aber zu trauern wäre falsch. Mit dem Kieler Dominik Klein und den Rechtsaußen Patrick Groetzki und Tobias Reichmann haben wir gute Typen, die Akzente setzen können.
Wo steht diese deutsche Mannschaft wirklich? Der letzte Erfolg, der WM-Titel 2007, liegt sechs Jahre zurück.
Stephan: Nach der letzten EM in Serbien gab es ernüchternde Ergebnisse. Jetzt haben aber einige die Chance, mehr Verantwortung zu übernehmen. Das Achtelfinale ist Pflicht, es wäre blamabel, wenn man das nicht schafft.
Kann Trainer Martin Heuberger diese Aufgabe meistern?
Stephan: Ich traue vielen Menschen vieles zu. Ich bin aber insgesamt skeptisch, was die WM angeht. Trotzdem besteht eine Chance. Diese Mannschaft kann in sechzig Minuten auch bessere Gegner schlagen. Sie kann aber auch gegen Argentinien verlieren.
Fehlen dem Trainer echte Führungsspieler, wie es sie zuletzt mit Markus Baur, Christian Schwarzer oder Daniel Stephan gab?
Stephan: Darüber streiten sich seit Monaten Spieler, Ex-Spieler und Trainer. Die deutsche Mannschaft glaubt, dass sie mit einer flachen Hierarchie gut zurechtkommt. Meine Erfahrung sagt mir: Ohne richtige Hierarchie ist es ganz schwierig, erfolgreich zu sein. Da haben wir ein Problem. Uns fehlen Führungsspieler, man kann sich aber auch keine backen. Auch Torwart Silvio Heinevetter ist für mich keiner. Er kann mal mit seinen Emotionen mitreißen, aber er führt nicht.
Steckt der deutsche Handball noch inmitten der Krise?
Stephan: Wir sprechen seit drei Jahren davon, dass sich die Mannschaft entwickeln muss. Aber es hat kaum Fortschritte gegeben. Deshalb ist diese WM extrem wichtig für den deutschen Handball. Wir brauchen ein positives Zeichen, die Mannschaft muss sich unbedingt entwickeln.
Funktioniert das nicht, weil junge deutsche Spieler noch immer zu wenig Spielanteile in der Liga bekommen?
Stephan: Natürlich habe ich Verständnis, wenn Kiel nicht andauernd deutsche Junioren-Nationalspieler beschäftigen kann, die spielen eben Champions League. Aber ein bisschen mehr Identifikation von den Vereinen wäre in dieser Phase wichtig. Wenn die Jungs aus der guten Jugendarbeit kommen, dann bekommen sie in der ersten Liga nicht die Spielanteile, die sie brauchen. Die meisten spielen sogar in der 2. Liga. Man muss über den Tellerrand hinausschauen: Wir brauchen eine Nationalmannschaft, die funktioniert. Wenn sie in der Versenkung verschwindet, verliert auch die Bundesliga an Bedeutung.