2. Bundesliga Hannover 96 und VfB Stuttgart: Wiederkehr mit breiter Brust
Wenn Hannover 96 und der VfB Stuttgart nächsten Sonntag den direkten Wiederaufstieg perfekt machen, krönen beide Ex-Bundesligisten wichtige Erfahrungsprozesse — und kommen emotional gestärkt ins Oberhaus zurück.
Hannover. Jan Schindelmeiser hat sich nicht nur eine sportliche Figur bewahrt, sondern vor dem letzten Zweitliga-Spieltag auch einen bemerkenswerten Spagat hinbekommen. Einerseits wollte der Sportdirektor des VfB Stuttgart nicht in die voreiligen Jubelchöre zur Rückkehr in die Bundesliga einstimmen, andererseits aber auch nicht den verbitterten Bremser spielen. „Ambitioniert bleiben und bescheiden auftreten — das muss sich nicht ausschließen“, so geht die Devise eines Machertypen, der im Niedersächsischen aufwuchs (Uslar) und selbst Fußball spielte (Göttingen) und nun im Schwäbischen seit Sommer vergangenen Jahres seine Managementkarriere fortführt.
Der 53-Jährige kann es als innere Genugtuung begreifen, dass der Verein mit dem roten Brustring wieder so aufgemotzt daher kommt, dass die 0:1-Niederlage bei Hannover 96 nicht wirklich weh tat. Der Verlierer und der „verdiente Sieger“ (VfB-Trainer Hannes Wolf) des Zweitliga-Gipfels stehen mit mehr als anderthalb Beinen vor dem Wiederaufstieg. Beide nahmen bereits am Montag die „seriöse Arbeit“ (Wolf) wieder auf, um am kommenden Sonntag wohl ähnliche Jubelbilder zu präsentieren. Stuttgart empfängt die Würzburger Kickers, Hannover spielt beim SV Sandhausen — bei drei Punkten und zehn bzw. sechs Tore Vorsprung auf Verfolger Eintracht Braunschweig sollte eigentlich nichts mehr schiefgehen. „Den letzten Schritt werden wir gehen“, verspricht 96-Trainer André Breitenreiter.
Diese Prognose stellten auch die Klubbosse. „Ich habe den Mut zu sagen, dass wir zu 96 Prozent aufgestiegen sind“, erläuterte 96-Boss Martin Kind sichtlich vergnügt. Und VfB-Kollege Wolfgang Dietrich erklärte, „dass wir es schaffen“. Eine geharnischte Demütigung wie sie Braunschweig beim Abstiegskandidaten Arminia Bielefeld (0:6) erfuhr, übersteigt bei ihm jedwede Vorstellungskraft. „Ich gehe davon aus, dass uns so etwas nicht passiert.“ Und auch 96 scheint trotz der Sperren für die Leistungsträger Salif Sané, Martin Harnik und Egar Prib nicht anfällig: Das Zu-Null-Erlebnis ist zur Regel der Roten geworden.
Hannover, zuvor 14 Jahre in der Bundesliga beheimatet, und Stuttgart, davor sogar 39 Jahre ununterbrochen erstklassig, haben die Chance zum Neuanfang genutzt — und eine neue Identifikation mit dem Umfeld herbeigeführt. Beide geben Musterbeispiele ab, welche Selbstreinigungsprozesse allen Unkenrufen zum Trotz von einem Abstieg ausgehen können. Nie aus wirtschaftlicher Sicht, aber aus emotionaler Betrachtung steckt in der Ehrenrunde eine Ebene tiefer eine reelle Chance. Wann hat es am Maschsee eine solch fantastische Atmosphäre gegeben? Zuletzt bei den ersten Europapokalspielen unter Mirko Slomka. Sechs Jahre ist das her.
Und auch am Neckar reiben sie sich die Augen, wie selbstverständlich Abertausende zu den Aufwärtsfahrten aufbrechen. Der VfB Stuttgart wird mit mehr als 50.000 Zuschauern pro Heimspiel einen neuen Besucherrekord für die zweite Liga aufstellen. „Der Verein hat sich runderneuert“, sagt Dietrich, der daran erinnerte, dass vergangene Sommer zwei verbliebende Vorstände die ganzen Scherben zusammenzukehren hatten. „Jetzt wird Kontinuität wieder als Erfolgsfaktor gesehen. Erst die Abwärtsspirale hat uns Demut gelehrt“, urteilt der Unternehmer.
Statt Luftschlössern nachzujagen, ist Realismus eingekehrt. Die heilsame Selbsterfahrung setzt allerdings voraus, dass der Strafversetzung auf eine Saison beschränkt ist — sonst beginnt die aus finanziellen Gründen unvermeidliche Selbstverzwergung wie sie der 1. FC Kaiserslautern oder 1. FC Nürnberg durchmachen musste. Zwei Landeshauptstädte, deren größten Fußballvereine zugleich als Leuchttürme einer ganzen Region dienen, kehren mit größerer Strahlkraft in die Beletage zurück, weil sie den Abstieg als Mahnung begriffen haben, um Veränderungen nicht nur in der Kaderzusammenstellung vorzunehmen.
In Hannover ist das Risiko des oft ungeduldigen Allesmachers Kind, mitten im Aufstiegskampf erst den Manager Horst Heldt, kurz darauf den Trainer Breitenreiter für Daniel Stendel zu installieren, aufgegangen. Und damit wird ein Auftrag für Hannover erfüllt, den der Hörgeräteunternehmer vor der Saison so formuliert hatte: „Es besteht keine Logik, dass der Aufstieg gelingt, aber eine Verantwortung.“
Ähnlichen Antrieb verspürte auch Schindelmeiser, als er den Stuttgarter Sportdirektorenposten übernahm: „Beim VfB war der Abstieg ja kein Betriebsunfall, sondern Folge einer langen Entwicklung. Erst danach konnte eine andere Kultur entstehen.“ Man habe den Klub komplett auf links gedreht, „und das ging nur, weil der Leidensdruck so groß war.“ Als der Versuch mit dem Trainer-Routinier Jos Luhkay misslang, wurde mit Hannes Wolf ein junger Fußballlehrer in die Verantwortung gehievt. Nun geben der frühere Manager der TSG Hoffenheim und der ehemalige U23-Trainer von Borussia Dortmund ein dynamisches Gespann im sportlichen Bereich.
Sollte es beim VfB auch mit der geplanten Ausgliederung klappen (Dietrich: „Alles andere wäre zu viel Understatement“), dann könnte der Verein für Bewegungsspiele nicht nur stabiler, sondern irgendwann auch gerne wieder schillernder werden. „Wir werden sicher nächste Saison kein anderes Ziel als den Klassenerhalt ausgeben“, sagt Schindelmeiser, wohl wissend, dass im kraftstrotzenden Ländle „wir nicht in fünf Jahren noch sagen können, wir wollen Sechzehnter werden.“