„Wir leben“: 1860 rettet miserable Saison
München (dpa) - Erst vergoss Torsten Fröhling beim stillen Dank an seine Mutter ein paar Tränen, dann sehnte sich der völlig geschaffte Retter des TSV 1860 München nur noch nach Erholung.
„Ich bin froh, wenn ich jetzt in Urlaub darf“, gestand der 48 Jahre alte Trainer nach dem wundersam anmutenden Last-Minute-Sieg gegen den Drittliga-Dritten Holstein Kiel. Nach dem 2:1 im Relegations-Krimi à la Bundesliga-Dino Hamburger SV bebte die Münchner Fußball-Arena wie nie zuvor bei einem Zweitligaspiel der „Löwen“.
„Wir leben!“, schrie Kapitän Christopher Schindler nach dem Happy End einer „Scheiß-Saison“, die eigentlich mit dem Bundesliga-Aufstieg enden sollte. „Es war eine miserable Saison, das wissen wir alle“, sagte der umstrittene Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner. Für ein paar Stunden war das egal: Das Stadion mit seinen 57 000 Feiergästen glich einem Tollhaus. Es war nach dem Siegtreffer von Kai Bülow (90.+1) förmlich explodiert. „Das waren einige Tode, die ich gestorben bin“, erklärte 1860-Präsident Gerhard Mayrhofer.
„Die Zuschauer haben uns getragen“, betonte Fröhling. Die weiß-blauen Helden auf dem Rasen hießen Daniel Adlung (78. Minute) und Bülow, die nach dem frühen 0:1 durch Kiels Rafael Rafael Kazior (16.) den deutschen Meister von 1966 vor dem Absturz in die Drittklassigkeit und Einnahmeverlusten in Millionenhöhe bewahren konnten. „So was können nur noch Männer drehen“, hatte Fröhling seinen Spielern zur Pause gesagt, als es zappenduster aussah. „Ich bin mental und körperlich platt“, erklärte der gefeierte Abwehrrecke Bülow „nach dem wichtigsten Tor meiner Karriere“.
„Jeder, der gesagt hat, wir sind keine Mannschaft, hat die Quittung bekommen“, sagte Adlung. Voller Genugtuung fügte der Torschütze hinzu: „Wenn der Arsch an der Wand war, haben wir immer die richtige Antwort gegeben.“ Zur Tagesordnung übergehen können die „Löwen“ aber keineswegs. Und der HSV, der sich tags zuvor in Karlsruhe ebenfalls im letzten Moment retten konnte, tauge auch nicht wirklich zum Vorbild, mahnte Fröhling: Denn für den HSV war es die zweite Relegation in Serie, das wollen die Sechziger nicht nachmachen.
Viele Fragen müssen geklärt werden nach einer Chaos-Saison, in der erst der dritte Trainer am Ende doch noch Erfolg hatte. Der Mitte Februar vom Regionalliga-Coach zum Chef der Profis beförderte Fröhling hat seine Position schlagartig verbessert. „Es spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, mit dem Trainer weiterzumachen“, sagte Präsident Mayrhofer. Auch Fröhling selbst hat schon „gespürt, dass man mit mir weiterarbeiten will“. Am 22.Juni ist Trainingsstart.
Seine Spieler plädierten deutlich für ihren Interimschef. „Ich bin ein großer Fan von der Arbeit des Trainers“, sagte Bülow. Fröhling ist konsequent seinen Weg gegangen, auch ohne jede Rücksicht auf die vermeintlichen Topeinkäufe des kaum haltbaren Sportchefs Poschner. „Keiner hatte bei ihm eine Sonderrolle, nur wer gearbeitet hat, durfte auch spielen“, bemerkte Kapitän Schindler vielsagend.
Fröhling will weiter anpacken - und das mit klaren Vorstellungen. „Diese junge Mannschaft hat Perspektive. Wer durch dieses Stahlbad geht, hat eine gewisse Qualität. Es wird keinen großen Umbruch mehr geben, das verspreche ich“, sagte er - „wenn ich was zu sagen habe“. Mitsprechen bei allen Planungen dürfte auch der undurchsichtige jordanische „Löwen“-Investor Hasan Ismaik, der selbst zum wichtigsten Spiel der Saison nicht nach München angereist war.
Die gescheiterten Kieler waren maßlos enttäuscht. Nach dem 0:0 im Hinspiel hätte ein 1:1 zum Aufstieg genügt. „Was Schlimmeres habe ich im Sport noch nicht erlebt“, stöhnte Trainer Karsten Neitzel. Trotzig ergänzte er: „Dann greifen wir eben nächstes Jahr wieder an.“