Interview Ex-Gladbacher Uli Borowka: „Ich habe Glück, dass ich noch lebe“

Mönchengladbach · Uli Borowka spricht im Interview über sein Leben als Profi-Fußballer und Alkoholiker, über seinen tiefen Absturz und wie er am Ende fast alles verlor.

Uli Borowka im Trikot von Borussia Mönchengladbach

Foto: WITTERS/WilfriedWitters

Uli Borowka (56) hat ein bewegtes Leben hinter sich. Als Fußballer war er Deutscher Meister, Europapokalsieger und Nationalspieler. Als Suchtkranker hat er einen tiefen Absturz hinter sich. In seiner Autobiografie „Volle Pulle“ berichtet er von seinem Doppelleben als Fußball-Profi und Alkoholiker. Außerdem hat er einen Verein zur Suchtprävention und Suchthilfe gegründet.

Herr Borowka, Sie waren Fußball-Profi und gleichzeitig Alkoholiker. Jetzt sind Sie trocken. Kommen Sie nach 18 Jahren Abstinenz eigentlich immer noch gelegentlich in Versuchung?

Uli Borowka: Bei mir sieht es ganz gut aus. Ich habe wenig Saufdruck und Suchtdruck über die Jahre gehabt, weil ich es schnell verinnerlicht habe, dass es kein wenn und aber gibt, sondern nur schwarz und weiß. Natürlich gibt es immer Situationen, die nicht so passen, gerade bei Veranstaltungen. Aber wenn die mir alle auf den Senkel gehen oder auf Tischen und Stühlen tanzen, dann drehe ich mich nach einer Stunde um und sage: „Danke, das war’s.“

Keine einfache Situation...

In Deutschland muss ich mich rechtfertigen, dass ich keinen Alkohol trinke. Und als trockener Alkoholiker wird man nach wie vor ausgegrenzt.

Wie hat es denn mit dem Alkohol angefangen?

Ich bin mit 15 Jahren in die Lehre gegangen. Ich habe mitgetrunken, um nicht ausgegrenzt zu werden. Ich habe von Anfang an gemerkt, dass ich nicht nach zwei Gläsern nein sagen kann.

Waren Sie bereits Alkoholiker, als Sie Fußballprofi wurden?

Nein. Ich kam mit 18 Jahren relativ früh nach Gladbach. Mit 22, 23 Jahren hatte ich die ersten Probleme, ich hatte Versagens- und Existenzängste. Das ist natürlich in Verbindung mit Alkohol sehr schlimm. Hinzu kam: Ich galt als härtester Abwehrspieler der Bundesliga. Ich hatte einen Ruf zu verteidigen.

Wann wurde es schlimmer?

Mit 23, 24 Jahren kamen die ersten Aussetzer. Da war aber alles noch im Rahmen gegenüber der brutalen Zeit in Bremen.

Wie viel haben Sie da getrunken?

Eine Kiste Bier, eine Flasche Wodka und eine Flasche Whiskey am Tag. Dann bin ich noch zum Training oder habe gespielt. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Da kann man schon einmal die Woche besoffen vom Stuhl fallen, solange man seine Leistung bringt.

Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass man bei diesem Alkoholkonsum noch Leistungssport betreiben kann.

16 Jahre Alkoholiker, zudem 14 Jahre von Medikamenten abhängig. Da hat mein Körper mir sehr geholfen. Er hat alles verarbeitet, was ich in ihn reingeballert habe. Ich hatte wahnsinnig Glück gehabt, dass ich organisch keine Probleme habe und noch lebe.

Die Trainer und Mitspieler müssen da ja was mitbekommen haben. Haben Sie es toleriert, weil Sie Leistungsträger waren?

Es wussten alle, dass der Borowka ein Alkoholproblem hat – die Mitspieler, der Trainer, die Vereinsoberen. Sie haben es alle mitgetragen. Das war eine Co-Abhängigkeit. Ich war zudem über die Jahre charakterlich ein schlechter Mensch geworden. Wenn ein Mitspieler wie Günter Herrmann mich auf mein Problem angesprochen hat, hab ich gesagt, er solle sich um seine eigenen Probleme kümmern. Und im nächsten Training habe ich den eigenen Mitspieler und Freund im Training so brutal zusammengetreten, dass er zwei, drei Tage nicht trainieren konnte. Nur weil er mich auf etwas angesprochen hatte, was ich aus eigener Sicht nicht hatte. Natürlich sind die anderen Spieler dann irgendwann nicht mehr auf mich zugekommen.

Und Ihr Problem hat sich immer weiter verstärkt.

Irgendwann war mir egal, was passierte. Der Alkohol war so stark, der hat alles kontrolliert. Ich habe meine Familie ruiniert, ich habe meine Kinder schlecht behandelt, wofür ich mich heute noch schäme. Das waren brutale Jahre. Aber ich war in meinem Körper gefangen und konnte nicht über meine Probleme reden. Aber stellen Sie sich vor, der härteste Spieler der Bundesliga, genannt „die Axt“, sagt auf einmal, er hat Gefühle und Probleme. Da wäre ich durchs Dorf getrieben worden.

Was war das Schlimmste, woran Sie sich errinnern?

Der Selbstmordversuch 1996. Ich habe keinen Ausweg mehr gesehen. Ich habe bis 2011 nicht darüber gesprochen, weil ich mich auch geschämt habe. Erst 2011, als wir das Buch geschrieben haben, ist das rausgekommen. Die schweren Autounfälle mit 1,8 Promille. Der Sturz im Delirium von einer Brücke, acht Meter tief. Aber ich konnte damals keinen klaren Gedanken fassen. Morgens bin ich aufgewacht und habe als erstes alle Reste zusammengekippt, die ich gefunden habe. Es war eine grausige Zeit.

Am Ende hatten Sie fast alles verloren.

Ja. Familie war weg, Kinder waren weg, Vermögen war weg. Schulden im hohen sechsstelligen Bereich. Dann kommst Du zurück aus der Klinik und willst ins normale Leben zurück hier in Deutschland. Das ist eine wunderbare Geschichte (lacht bitter). Ich habe mich bei 20 Vereinen beworben, als Co-Trainer, als Jugendtrainer. Ich habe 22 Absagen gekriegt. Einige haben provisorisch abgesagt. Wir Deutschen zäumen das Pferd von hinten auf. Wir geben einem, der etwas gegen seine Krankheit getan hat, keine Chance, weil wir Angst haben, er wird rückfällig.

Wer hat Ihnen geholfen, als Sie am Boden waren?

Anfang 2000 hat mich Christian Hochstätter (Anm. der Red: Ex-Profi und damals Sportdirektor Mönchengladbach) gesehen. Er hat mich mit Gladbach-Präsident Jacobs in eine Klinik gebracht. Ich dachte, jetzt gehste mal hin, bleibst drei Wochen. Dann kannst Du gehen und kontrolliert trinken.

Es wurde dann doch länger.

Zum Glück bin ich vier Monate geblieben. Ich habe erkannt, dass das mit dem kontrollierten Trinken nicht geht. Das schafft vielleicht einer unter 50 000. Aber so, wie ich mit wenig Talent Bundesliga- und Nationalspieler geworden bin, habe ich mich mit Willen und Ehrgeiz ins Leben zurückgekämpft.

Gibt es heute noch viele Süchtige im Profisport?

Ja natürlich. Wir kümmern uns mit unserem Verein inzwischen ja auch um suchtkranke Sportler. Die internationale Spielervereinigung hat vor vier Jahren eine Untersuchung in ganz Europa gemacht – ein Land hat nicht teilgenommen, weil wir in Deutschland ja keine Probleme haben. Herausgekommen ist, dass 19 Prozent der aktiven Sportler suchtkrank waren und 34 Prozent der ehemaligen Spieler. Psychisch belastet waren 20 Prozent der Aktiven und 40 Prozent der Ehemaligen.

Aber suchtkrank heißt in diesem Zusammenhang nicht nur Alkohol.

Nein, wir reden von Alkohol, Drogen, Medikamenten – und, was uns am meisten Probleme bereitet, die Spielsucht.

Würden Sie einem süchtigen oder psychisch kranken Profisportler zum Outing raten?

Nein. Weil wir in Deutschland nicht so weit sind, auch wenn wir immer so verständnisvoll tun. Aber wir können ja nicht einmal mit schwulen Fußballern umgehen. Wer suchtkrank ist und sich outet, wird ausgegrenzt und verliert seinen Vertrag. Im Profisport musst Du hart sein, stark sein. Da kannst Du keine Schwächen haben. Und Sucht wird als Schwäche ausgelegt.

Sie galten als der knallharte Verteidiger, ihr Spitzname war „Die Axt“. Waren Sie nur hart – oder waren Sie auch unfair?

Nein. Ich habe niemanden mutwillig versucht zu verletzen. Ich ging mit allem, was ich hatte, in die Zweikämpfe.

Auch verbal galten Sie nicht als zimperlich. Olaf Thon hat berichtet, dass Sie ihn bei seinem Bundesliga-Debüt mit der Ankündigung empfangen hätten, ihm beide Beine zu brechen.

Das stimmt. Er ist als 17-Jähriger auf dem Böckelberg aufgelaufen, war richtig blass und ich habe ihm gesagt: „Junge, wenn Du über die Mittellinie kommst, brech ich Dir beide Beine.“ Das war mein Ruf, dafür war ich bekannt, bei einigen Spielern hat das funktioniert. Aber ich habe in meiner ganzen Karriere nur eine einzige Rote Karte gesehen, und die war auch noch unberechtigt. Ich kann also gar nicht so unfair gewesen sein.

Ihre Nationalmannschaftskarriere war eher kurz. Dabei haben Sie bei der EM 1988 im eigenen Land alle Spiele bestritten.

Ich war auch Stammspieler und Vizekapitän der Mannschaft, die bei Olympia in Seoul Bronze geholt hat. Alles Weitere habe ich mir selbst verbaut. Nach der EM gab es Ärger, ich sollte der Schuldige an der 1:2-Halbfinal-Niederlage gegen die Niederlande gewesen sein. Dabei war Gullit mein Gegenspieler und nicht van Basten, der ein Tor erzielt und den Elfmeter zum zweiten Tor rausgeholt hat. Ich sollte zurück in die Olympiaauswahl und ich war so verpeilt, dass ich dann zurückgetreten bin. Mit 26 Jahren. Das muss man sich mal vorstellen.

Haben Sie das später bereut?

Nein. So war ich damals drauf. Ich habe mir die Knüppel alle selbst zwischen die Beine geworfen. Ich halte nichts davon, reumütig zurückzuschauen. Ich habe die Fehler gemacht, ich habe die Fehler mit mir aufgearbeitet. Ich bin mit mir im Reinen.

(Udo Koller)