Marc-André ter Stegen: "Ich schaue nicht auf andere"
Mönchengladbach. So viele junge, talentierte Torhüter wie in dieser Saison hat es in der Bundesliga bisher noch nicht gegeben. Ältere Keeper wie Simon Jentzsch (35/FC Augsburg), Heinz Müller (33/Mainz 05), Raphael Schäfer (32/1.
FC Nürnberg), Jaroslav Drobny (31/HSV) oder Roman Weidenfeller (31/Borussia Dortmund) sind die Ausnahme. Stattdessen erobern junge Nachwuchsspieler den Fünfmeterraum.
Wie zum Beispiel Marc-André ter Stegen von Borussia Mönchengladbach, der nach Manuel Neuer, Tim Wiese und Ron Robert Zieler bereits als die Nummer 4 in der Nationalmannschaft gehandelt wird.
Der 19-jährige Gladbacher beherrscht das gesamte Spektrum des Torwartspiels. Obwohl er erst zehn Bundesligaspiele vorweisen kann, ist er bereits ein sicherer Rückhalt in der Defensive. Zuverlässig, kommunikativ, abgeklärt.
Im Gespräch mit unserer Zeitung spricht ter Stegen über seinen Trainer, den „Perfektionisten“ Lucien Favre, die Saisonziele mit der Borussia, seinen neuen Zimmernachbarn Lukas Rupp und seinen Traumverein FC Barcelona.
Zweitligist Fortuna Düsseldorf hat Borussias Verteidiger Tobias Levels ausgeliehen, Ihren bisherigen Zimmernachbarn. Wer ist der Neue an Ihrer Seite?
Ter Stegen: Lukas Rupp. Ein toller Fußballer. Ich hoffe, dass ich mich mit ihm so gut verstehe wie mit Tobi. Schade, dass er weg ist. Tobias hat viel für den Verein getan und mir vor meinem Bundesligadebüt am 10. April gegen den 1. FC Köln viele wertvolle Tipps gegeben.
Seitdem sind zehn Bundesligaspiele verstrichen, und die Lobeshymnen klingen nicht ab. Bundestrainer Jogi Löw hält Sie für sehr befähigt. Auch Ex-Nationaltorhüter Jens Lehmann ist beeindruckt, wie nervenstark Sie den Abstiegskampf mit Borussia Mönchengladbach bestanden haben. Woher nehmen Sie die Ruhe und Gelassenheit?
Ter Stegen: Schwer zu sagen, aber ich glaube, das gehört einfach zu mir. So bin ich auch privat. Wie das von außen aussieht, weiß ich nicht. Ich gehe ins Spiel und will gewinnen, genau wie jeder andere Spieler auch.
Die Generation Teenager ist in der Bundesliga im Anmarsch. Sie sind einer von Ihnen, waren noch 18, als Trainer Lucien Favre Sie im Borussia-Park gegen Köln (5:1-Sieg, d. Red.) ins kalte Wasser warf. Was war das für ein Gefühl?
Ter Stegen: Das war ein ganz spezielles Gefühl, denn ich durfte für meinen Verein in der Bundesliga spielen! Das Debüt gegen Köln war dann unbeschreiblich schön und aufregend, und das Ergebnis stimmte erst recht. Obwohl mich das Gegentor geärgert hat.
Sie wollten in dieses Spiel so unbeschwert wie möglich gehen, haben sogar Ihre Eltern gebeten, an besagtem Tag nicht ins Stadion zu gehen, um sich auf diese 90 Minuten voll zu konzentrieren.
Ter Stegen: Das stimmt. Ich wollte das so, und sie haben sich auch daran gehalten. Inzwischen sind sie aber regelmäßig im Borussia-Park.
Teufelskerl, Weltklasse, Mini-Titan — was halten Sie davon, wenn Ihre Leistung mit solchen Superlativen in den Medien gewürdigt wird?
Ter Stegen: Das hat für mich nur wenig Aussagekraft. Ich bin wie ich bin und will nur eins: Woche für Woche mein Spiel abrufen und meiner Mannschaft zum Sieg verhelfen.
Mit welchem Torwarttypen können Sie sich identifizieren, wer imponiert Ihnen in der Liga oder international am meisten?
Ter Stegen: Ich schaue nicht auf andere. Jeder ist sein eigener Typ, will sein eigenes Ding machen. Um es weit zu bringen und absolute Klasse zu erreichen, muss man über Jahre Top-Leistungen bringen. Zwei Namen fallen mir trotzdem ein: Spaniens Nationaltorwart Casillas und Petr Cech vom FC Chelsea. Sie haben bewiesen, was sie drauf haben.
Ihr Trainer Favre hat über Sie gesagt: Marc-Andre ist sachlich, konzentriert, ruhig. Einfach gut. Wie gehen Sie mit Lob um, wie mit Kritik?
Ter Stegen: Ein Lob tut gut, das stärkt und gibt Selbstvertrauen. Aber auch Kritik nehme ich gerne an. In erster Linie vom Trainerstab. Ich versuche Spiel für Spiel alles richtig zu machen. Was natürlich nicht immer gelingt. Wenn ich einen Fehler mache, dann stehe ich dazu und versuche ihn abzustellen. Aus jedem Fehler nimmt man auf jeden Fall auch etwas mit.
Was ist Trainer Lucien Favre für ein Typ?
Ter Stegen: Er ist ein Perfektionist, und es macht viel Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten. Unser Trainer achtet akribisch auf Details, schaut beim Training genau hin, ob wir Bewegung im Spiel haben, ob die Laufwege stimmen und die Pässe sauber kommen. Er nimmt seine Arbeit sehr ernst und ist mit Leib und Seele dabei.
Wird es auch schon mal ungemütlich mit ihm?
Ter Stegen: Das kann passieren. Es gibt nicht nur den netten Herrn Favre. Er kann auch konsequent durchgreifen, kennt aber ansonsten nur ein Ziel, uns Tag für Tag und Training für Training weiterzubringen. Und eine Entwicklung ist deutlich zu sehen. Vor allem die jungen Spieler profitieren von der Handschrift des Trainers. Aber auch die älteren sind gute Zuhörer und lernfähig.
Die Saison ist noch jung, erste Tendenzen sind gleichwohl zu erkennen. Was ist nach dem Fast-Abstieg im Mai nun von Borussia zu erwarten?
Ter Stegen: Wir haben eine, ich sag mal, komische Saison vernünftig beendet und sind jetzt gut in die Liga reingekommen. Aber es wird wieder eine schwere Saison werden. Vermessen wäre es, daran zu glauben, wir holen die Meisterschaft oder können oben mitspielen. Wir müssen realistisch bleiben: Jeder Punkt in der Meisterschaft ist umkämpft. Eines aber verspreche ich: Wir werden jedes Spiel aggressiv angehen und um jeden Punkt kämpfen.
Wie wichtig war in diesem Zusammenhang der fast sensationelle Sieg beim FC Bayern zum Auftakt der Saison?
Ter Stegen: Absolut wichtig. Es war kein schöner Sieg, aber was allein zählt ist das 1:0, sind die drei Punkte. Und das bei den Bayern. Davon reden die Fans noch ewig.
Von welchem Trainer haben Sie am meisten profitiert und wer war am Anfang Ihr großer Förderer?
Ter Stegen: Viele haben ihren Teil dazu beigetragen. Man hat von jedem was mitgenommen. Auch die Familie hat einen großen Beitrag geleistet. Am längsten habe ich mit Roland Virkus gearbeitet. Vier Jahre lang. Der heutige Nachwuchs-Direktor bei der Borussia war ein Supertrainer und hat eine enorm wichtige Rolle für mich gespielt.
Ihre fußballerischen Fähigkeiten sind beachtlich. Kein Wunder, Sie waren bis zum Alter von elf Jahren Feldspieler, Stürmer. Jetzt sind Sie die Nummer 1 im Tor des VfL. Fehlt Ihnen nicht manchmal etwas, wenn die Mitspieler vorne treffen?
Ter Stegen: Man lebt natürlich hinten ein bisschen mit, leitet den Angriff schnell ein, verfolgt jeden Spielzug, jede Aktion, ist immer hellwach. Das ist bei den Verteidigern wahrscheinlich nicht anders. Aber im Grunde bin ich froh, Torwart zu sein. Eine klare Chance des Gegners zu vereiteln, ist schließlich auch kein schlechtes Gefühl.
Welcher Verein in Europa fasziniert Sie und warum?
Ter Stegen: Da stehe ich auf der Seite von unserem Trainer. Ganz klar FC Barcelona. Das ist Fußball in Vollendung. Superschnell, technisch hochstehend, effizient. Da schaut man sich gerne etwas ab, aber diese Perfektion als Mannschaft zu erreichen, ist sehr, sehr schwer, ja fast unmöglich.