Trainingslager: Ein kleines bisschen Eiszeit in Belek
Borussia Mönchengladbach bereitet sich bei winterlichen Temperaturen an der türkischen Riviera auf die Rückrunde vor und scheut den verbalen Konflikt mit dem FC Bayern nicht
Belek. Gut erzogen sind sie ja wohl, die Berufsfußballer von Borussia Mönchengladbach. Jedenfalls ist fast alles, was Zeugwart Rolf Hülswitt ihnen im Trainingslager vorgibt, so etwas wie eisernes Gesetz. Aktuell gilt im türkischen Belek das Gebot, dass mit Verlassen des Trainingsplatzes sofort die Fußballschuhe ausgezogen werden. Dafür liegt beim Ausgang durch den Drahtverhau eine Plastikmatte parat, auf der alle — von Weltmeister Christoph Kramer bis Torwart Yann Sommer —ihre Modelle abstellen. Ordnungsgemäß in Reih und Glied.
Der seit fast drei Jahrzehnten bei der Borussia tätige Hülswitt, Spitzname „General“, weil der 72-Jährige einst als Stabsfeldwebel bei der Bundeswehr diente, stülpt sich weiße Hygienehandschuhe über, bevor er die bunten Treter mit der Bürste bearbeitet. Eilig hat er es, denn allzu lang ist die Pause zwischen der Vormittags- und Nachmittagstraining nicht — Übungseinheiten unter dem peniblen Taktiktüftler Lucien Favre dauern fast immer zwei Stunden. Selbst wenn die Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt liegen.
Wer sich aufwärmen will, muss runter vom schattigen Grün im Pinienwald auf den Vorplatz in die Sonne. Dort steht Vizepräsident Rainer Bonhof, der hier gerne Auskunft erteilt. Der Weltmeister von 1974 mag es nicht, die Hinrunde als „Renaissance seiner Borussia“ zu bezeichnen. „Wir haben schwere Zeiten hinter uns.“ Bonhof erinnert daran, dass der Fast-Abstieg 2011 dem Verein und dem Umfeld Respekt und Demut gelehrt haben, „wir bauen bestimmt keine Luftschlösser.“ Aber warum nicht träumen?
Zum ersten Mal seit 28 Jahren tanzt der Traditionsverein vom Niederrhein zur Rückrunde auf drei Hochzeiten weiter. In der Bundesliga aussichtsreicher Tabellenvierter, in der Europa League gegen den Titelverteidiger FC Sevilla gefordert, im DFB-Pokal den Offenbacher Kickers zugeteilt — die Aussichten waren schon mal schlechter. „Und es gibt eine Riesengemeinde, die uns diese Erfolge gönnt“, glaubt Bonhof, der „Max Eberl und seinem Team“ ein Riesenlob ausspricht.
Sportdirektor und Scouting-Abteilung machen aus den Mitteln Maximales, denn bei einem Lizenzspieleretat von 36 Millionen Euro - bei einem demnächst verkündeten Umsatz jenseits der 100-Millionen-Marke für das Geschäftsjahr 2014 - besteht gemeinhin nämlich kein Anrecht aufs obere Bundesliga-Drittel.
Gladbachs Erfolgsmodell sieht bekanntlich vor, einerseits Eigengewächse und Jungprofis weiterzubilden, andererseits auf dem heimischen und internationalen Transfermarkt gezielt zuzuschlagen. Die erste Säule wackelt indes, wenn jetzt auch noch der FC Bayern die Toptalente aufkauft. Eberl missfällt, dass der Primus mal eben mit dem Scheckbuch wedelt und knapp zehn Millionen Euro auf den Tisch legt, um den im Borussia-Park ausgebildeten Sinan Kurt und Joshua Kimmich aus Stuttgart abzuwerben. Nachwuchskräfte ohne jede Bundesliga-Erfahrung.
Der Sportdirektor, der am Freitag mit grüner Mütze schwitzend eine Laufrunde durchs Areal absolvierte, hat Alarm geschlagen. „Wenn man die Talente erntet, bevor sie reif sind, weiß ich nicht, ob das dem deutschen Fußball gut tut", sagte der 41-Jährige. Sie sollten sich anderswo hochdienen und könnten dann zu den Bayern gehen.
Der gebürtige Niederbayer, selbst in der FCB-Jugend sozialisiert, fürchtet, dass Hochbegabte bald auf der Münchner Tribüne sitzen statt sich beispielweise für die Mönchengladbacher Stammelf zu beweisen. Dass er mit solchen Äußerungen ein bisschen Eiszeit zu seinem Ex-Verein auslöst, nimmt der Sportdirektor in Kauf.
Der Trainer hat sich am Freitag jedes Statement zu der komplexen Thematik erspart. Sondern sich lieben den alltäglichen Problemen gewidmet. Mit ernster Miene meldete Favre beim Abgang gegenüber Urgestein Hülswitt, dass beim Torschusstraining auf der anderen Platzseite ein Ball über den Zaun geflogen und oben in einer Baumkrone gelandet sei. „Rolf, den haben wir verloren.“ Der „General“ hat hörbar gegrummelt — ihm tut das wohl mindestens so weh wie Eberl ein abgeworbenes Talent.