Was nun, Herr Favre?
Das 0:1 der Gladbacher in Berlin ist kein Zufall. Der Rausch am Ballbesitzspiel bleibt auswärts zumeist punktlose Kunst.
Berlin. Die Gesänge dröhnten Marc-André ter Stegen im Ohr. Da saß der Gladbacher Torhüter alleine auf der Auswechselbank, den Blick nach unten gerichtet, nachdenklich, grübelnd. Um ihn herum indes feierten die Berliner Spieler und Fans ausgelassen — ein Tor, drei Punkte und den Sprung auf Tabellenplatz vier. Der Kopfball-Treffer von Adrian Ramos gegen Borussia Mönchengladbach zum vierten Heimsieg war für die Berliner der rechte Muntermacher vor dem Spiel des Aufsteigers am kommenden Samstag beim deutschen Rekordmeister in München.
Herthas Trainer Jos Luhukay lenkte aber schnell wieder den Sinn auf die Realität: „Der Tabellenplatz ist nur eine Phase in der Saison“, sagte der Niederländer, „die Fans und die Stadt sind euphorisiert, doch wir müssen damit nüchtern umgehen.“
Luhukay, der ehemalige Gladbacher Trainer, gewann das Duell gegen Lucien Favre, den aktuellen Coach. Weil der Niederländer die bessere taktische Variante präsentierte. Luhukay verdichtete mit der Nominierung von Levan Kobiashvili die Zentrale. „Da haben wir sehr sicher gestanden und sind nicht in Konter gelaufen“, analysierte Luhukay zufrieden.
Gladbachs Torhüter ter Stegen bewertete den Zeitpunkt, zu dem das entscheidende Tor fiel, als ungünstig. „Weil wir gerade das Spiel im Griff hatten.“ Bis Martin Stranzl und Christoph Kramer im Luftkampf Ramos nicht entscheidend störend konnten. „Wir müssen uns selber ankreiden, beim Standard nicht hellwach gewesen zu sein“, sagte ter Stegen und fügte an: „Dann sind wir dem Spiel hinterher gelaufen.“
Man könnte diese Einschätzung auch auf die bisherige Saison ausdehnen. Seit dem Auftakt bei den Bayern laufen die Gladbachern auswärts dem Erfolg hinterher. Pleiten in München, Leverkusen, Hoffenheim und jetzt in Berlin werden durch das 2:2 in Augsburg nur unwesentlich gemildert.
Das 1:3 bei den Bayern und das 2:4 bei Bayer waren lange mit dem Hinweis der Klasse der Gegner entschuldigt. In Hoffenheim aber kamen nach dem 1:2 erste Zweifel auf, der Ausgleich in Augsburg in letzter Sekunde und nun das 0:1 in Berlin verstärken den Makel der Gladbacher als Auswärtsdeppen. Und das alles trotz mitunter gutem Spiel, phasenweise ansehnlichen Kombinationen und Chancen, aus denen man auch Tore erzielen kann. Auf fremden Plätzen endet der Ballbesitzfußball der Gladbacher nachhaltig im Misserfolg.
Ein Auftrag für den Trainer. Lucien Favre muss diese Malaise zügig stoppen. Im vergangenen Jahr gelang ihm das mit beachtlichem Erfolg nach dem 0:5 in Dortmund und dem 0:4 in Bremen. Seinerzeit stimmten Analyse und personelle Korrekturen. Heuer hingegen ist davon kaum etwas zu sehen. Sowohl personell wie taktisch reagiert Favre bisher nur zögerlich, sagte nach der Pleite: „In der ersten Halbzeit haben wir fast alles kontrolliert. Nachher haben wir zu viele Bälle verloren. Unglaubliche Bälle verloren.“ Aber ohne Ball bleibt es schwer zu punkten. Gegen Dortmund half ein Elfmeter, in Berlin niemand mehr.