Bestürzung nach Rangnick-Rücktritt - „Ein Schock“
Gelsenkirchen (dpa) - Erschöpft, ausgebrannt, kraftlos - Trainer Ralf Rangnick hat beim FC Schalke 04 überraschend seinen Rücktritt erklärt und den Fußball-Bundesligisten in einen Schockzustand versetzt.
Sein Geständnis, dem großen Druck auf der Trainerbank derzeit nicht mehr gewachsen zu sein, traf den Revierclub völlig unerwartet. Zugleich löste Rangnicks Schritt in der Liga lebhafte Diskussionen über die wachsenden Anforderungen im Profifußball aus. „Das war ein Schock, wir müssen das erst einmal sacken lassen. Das zieht uns den Boden unter den Füßen weg, denn das war vorausschauend nicht erkennbar“, bekannte Schalke-Manager Horst Heldt.
Schweren Herzens tat Rangnick nach einem klärenden Gespräch mit der Vereinsspitze den mutigen Schritt in die Öffentlichkeit. Um weiteren Stress zu vermeiden, verzichtete er am Donnerstag auf einen Auftritt bei der vom Club eilig anberaumten Pressekonferenz. Stattdessen nahm er in einer Vereinsmitteilung Stellung: „Nach langer und reiflicher Überlegung bin ich zum Entschluss gekommen, dass ich eine Pause brauche. Mein derzeitiger Energielevel reicht nicht aus, um erfolgreich zu sein und insbesondere die Mannschaft und den Verein in ihrer sportlichen Entwicklung voranzubringen.“
Der unerwartete Entschluss von Rangnick sorgte beim FC Schalke nicht nur für Bestürzung, sondern auch für Ratlosigkeit. Nur sechs Monate nach der schmutzigen Scheidung von Felix Magath muss der Bundesliga-Neunte erneut auf Trainersuche gehen. „Eine Lösung werden wir finden, nicht die schnellste, aber die beste“, sagte Aufsichtsratschef Clemens Tönnies der Nachrichtenagentur dpa. Beim Heimspiel gegen den SC Freiburg am Samstag betreut Co-Trainer Seppo Eichkorn die Mannschaft.
Nur wenige Stunden nach der Demission von Rangnick wurden Spekulationen über einen neuen Coach laut. Als Kandidat wurde der Ex-Schalker Huub Stevens gehandelt, der auch beim Hamburger SV als Nachfolger des zu Wochenbeginn beurlaubten Michael Oenning im Gespräch ist. „Ich weiß von nichts, es gibt bisher keinen Kontakt zu Schalke“, sagte der Niederländer Stevens der Zeitung „RevierSport“.
Erste Burnout-Symptome hatten sich bei Rangnick bereits zum Ende seiner Amtszeit in Hoffenheim angekündigt. Zu Jahresbeginn verspürte er das Bedürfnis, eine längere Pause einlegen zu müssen. Doch die schnelle Einigung mit Schalke durchkreuzte diese Pläne. Die in aller Eile und mit großem Ehrgeiz getroffene Entscheidung, seinem Ex-Club helfen zu wollen, erwies sich im Nachhinein als Fehler. Gut sechs Monate später zwangen ihn gesundheitliche Umstände zur Kapitulation. „Ich habe das am Mittwochabend erfahren und war total bestürzt. Wir sehen es als mutigen Schritt und als Vertrauensbeweis an, dass Ralf Rangnick sich uns offenbart hat“, kommentierte Tönnies.
Ähnlich verständnisvolle Worte fand Theo Zwanziger. „Natürlich bedauere ich den Rücktritt von Ralf Rangnick. Allerdings habe ich auch großen Respekt vor seiner Entscheidung und der Tatsache, dass er mit seiner Erkrankung öffentlich umgeht“, sagte der DFB-Präsident der „Bild“. Er erinnerte an das Schicksal des ehemaligen Nationaltorwarts Robert Enke: „Vielleicht hat sich die Situation im harten Profigeschäft Fußball aufgrund der vielen Diskussionen nach dem tragischen Tod von Robert Enke ja doch ein klein wenig verändert. Vielleicht werden Schwächen und Krankheiten eher toleriert und respektiert als noch vor knapp zwei Jahren.“
Reinhard Rauball regte sogar an, das Aufgabengebiet der Robert-Enke-Stiftung angesichts der jüngsten Geschehnisse auf Trainer und Manager auszuweiten: „Offensichtlich scheint niemand davor geschützt zu sein, über Nacht von einer solchen Krankheit betroffen zu sein“, wurde der Ligapräsident auf „Sport Bild online“ zitiert. Der Sportpsychologe Prof. Jens Kleinert forderte mehr psychologische Unterstützung für Trainer. „Viele Trainer tun zu wenig für sich selbst“, sagte Prof. Jens Kleinert von der Deutschen Sporthochschule in Köln der Nachrichtenagentur dpa. „Deswegen ist es wichtig, dass es mehr Trainer für die Trainer gibt, also psychologisch geschulte Berater.“
Der Respekt vieler Bundesliga-Kollegen ist Rangnick sicher. „Das ist eine sehr traurige Nachricht, denn Ralf hat den Weg für die neue Trainergeneration geebnet“, kommentierte Robin Dutt. Der Leverkusener Coach hält wenig davon, die Fälle Enke, Markus Miller und Rangnick zu vergleichen: „Jeder hat seine eigene Geschichte. Wir müssen akzeptieren, dass Fußball nicht das Wichtigste auf der Welt ist.“
Hoffenheims Club-Mäzen Dietmar Hopp hat „großen Respekt“ für den Rücktritt des früheren 1899-Trainers Ralf Rangnick als Coach des FC Schalke 04 geäußert. „Ein Bundesliga-Trainer hat einen schwereren Job als der Chef eines Wirtschaftsunternehmens, weil er zehn Mal so sehr in der Öffentlichkeit steht. Hinzu kommt: In Firmen geht es weitgehend rational zu, der Fußball ist emotionaler“, sagte der Unternehmer und SAP-Mitbegründer der „Rhein-Neckar-Zeitung“. Er habe seinem ehemaligen Angestellten eine Mail mit Genesungswünschen geschickt, so Hopp.
Wie Dutt empfand auch Rangnick-Vorgänger Magath Mitgefühl. „Ich bewundere Ralf Rangnick dafür, dass er diesen Schritt gemacht hat. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie anspruchsvoll und auch belastend der Trainerberuf ist“, sagte der Coach aus Wolfsburg.
Unmittelbar nach seinem Ausstieg trat der laut Mannschaftsarzt Thorsten Rarreck an einem „vegetativen Erschöpfungssyndrom“ erkrankte Rangnick die Reise in seine Heimatstadt Backnang an. Eine stationäre Behandlung ist nach Auskunft von Schalke-Manager Heldt nicht nötig, wohl aber eine medizinische Betreuung durch Fachleute und eine längere Pause.
Rückkehrer Rangnick, der den FC Schalke bereits von September 2004 bis Dezember 2005 betreut hatte, war beim Revierclub mit offenen Armen empfangen worden. Nach der umstrittenen „Alleinherrschaft“ seines Vorgängers Magath sollte der als besonnen geltende Coach bei dem wankenden Traditionsclub für eine Stimmungsaufhellung sorgen. Doch das Erbe erwies sich als schwere Last.
Immerhin trösteten der erste Einzug ins Halbfinale der Champions League und der Pokalsieg über den dürftigen 14. Tabellenplatz hinweg. Zudem stand in Heldt ein guter Bekannter aus Stuttgarter Zeiten an der Seite von Rangnick. Gleichwohl machte dem Coach der immense Druck mehr und mehr zu schaffen. „Daher mussten wir die Reißleine ziehen“, erklärte Heldt. Besorgniserregende Symptome hatte auch der Manager in den Monaten zuvor nicht ausgemacht: „In ein Seelenempfinden kann man nicht immer hineinschauen, das ist eine Krankheit, die man nicht an der Stirn ablesen kann. “