Fußball-Nationalmannschaft Kleindienst: Vom Obi-Markt zur WM 2026?
MÜNCHEN/MÖNCHENGLADBACH · Borussia Mönchengladbachs Stürmer debütiert erfolgreich in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Jetzt steht er mit Gladbach im Fokus.
Ob sich Tim Kleindienst vor rund zwei Wochen hätte träumen lassen, dass der Oktober wohl ein goldener werden würde für ihn? Im Obi-Baumarkt stehend nahm er nach eigener Aussage den dritten Anruf von Bundestrainer Julian Nagelsmann entgegen und konnte sein Glück kaum fassen. „Du rechnest ja nicht damit, dass der Bundestrainer dich anruft. Für mich war das etwas unfassbar Besonderes“, sagte Kleindienst. Doch bei der bloßen Nominierung blieb es nicht, Kleindienst stand in der Nations League gleich zwei Mal in der Startelf. Nach einem noch etwas glücklosen Auftritt gegen Bosnien und Herzegowina konnte der 1,94 Meter große Stürmer gegen die Niederlande mit viel Einsatz, Zweikampfbereitschaft und als gefundene Anspielstation in der Sturmmitte punkten.
Kleindienst‘ Kopfballstärke
leitet Siegtreffer ein
Direkt der erste lange Ball war an Tim Kleindienst adressiert. Antonio Rüdiger suchte den Gladbacher Sekunden nach dem Anpfiff mit einem langen Schlag aus der eigenen Hälfte heraus. Ein Muster, das sich im Laufe des Spiels noch häufig wiederholen sollte und bei dem der Stürmer mit der Rückennummer 9 eine gute Figur machte. Vier von fünf Luftduellen entschied Kleindienst beim 1:0-Erfolg gegen „Oranje“ in den 82 Minuten, in denen er auf dem Feld stand, für sich. Ein eigenes Tor gelang dem Sommerzugang von Borussia Mönchengladbach zwar auch im zweiten Einsatz für die deutsche A-Auswahl nicht, dennoch war Kleindienst maßgeblich an der Entstehung des Siegtreffers durch Jamie Leweling beteiligt, als er eine Ecke Mitte der zweiten Halbzeit wuchtig aufs Tor köpfte und der flinke Stuttgarter den Abpraller gekonnt in den Winkel drosch. Es war ein sehr ordentlicher Auftritt von Kleindienst, der auch im Pass-Spiel zu überzeugen wusste.
Bundestrainer Julian Nagelsmann hatte angekündigt, dass die Nations-League-Spiele eine gute Möglichkeit seien, „Tim“ in Abwesenheit der verletzten Niclas Füllkrug und Kai Havertz „mal zu testen“. Test bestanden – lautete das einhellige Urteil nach den beiden Spielen. „Dass ich beide Spiele von Anfang an gemacht habe, ist was ganz Besonderes. Beide zu gewinnen, ist genau so schön“, sagte Kleindienst dieser Zeitung. „Das war eine perfekte Länderspielreise.“ Es sei klar geworden, dass der Bundestrainer vorne „eine klare Neun“ haben will.
Eine mehr als stabile Saison in Heidenheim und einen geglückten Start bei Borussia Mönchengladbach hatte Nagelsmann dem 29-Jährigen vorab attestiert und vor allem dessen Torquote und auch die mentalen Fähigkeiten gelobt. „In einer Mannschaft, die nicht unbedingt 20 Torchancen pro Spiel kreiert, ist es noch viel schwieriger, auf diese guten Quoten zu kommen, die Tim hat“, lobte Nagelsmann den Mann, der in der vergangenen Saison auf zwölf Tore und fünf Vorlagen für den Aufsteiger aus Heidenheim kam. Auch jetzt steht Kleindienst nach sechs Bundesligaspielen bereits wieder bei drei Toren und einem Assist für seinen neuen Verein aus Mönchengladbach. Ein Stürmer, der mitarbeitet, „nicht nur vorne wartet, ich investiere viel für das Team“. Hat er Blut geleckt? „Ich werde weiter Vollgas geben. Und dann schauen wir mal, wie sich die Verletzungen anderer Spieler entwickeln.“
Kleindienst bleibt perspektivisch ein Kandidat für die DFB-Elf, wie der Bundestrainer verriet. Der beidfüßige und kopfballstarke Stürmer könnte im November erneut eine Einladung zum DFB-Team erhalten. Denn dann stehen die beiden abschließenden Gruppenspiele in der Nations League daheim gegen Bosnien in Freiburg und in Budapest gegen Ungarn an.
Das deutsche Team ist nach dem Sieg gegen die Niederlande aber bereits vorzeitig fürs Viertelfinale des Wettbewerbs qualifiziert und dürfte im vollen Uefa-Kalender dem ein oder anderen Stammspieler eine Auszeit gönnen. Da eine Rückkehr von Niclas Füllkrug aktuell nicht absehbar ist – der Stürmer von West Ham United leidet seit Wochen an Achillessehnenproblemen – hat sich Kleindienst in nur zwei Spielen zu einer Alternative entwickelt. Auch mit Blick auf die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko?
Nagelsmann betont in Bezug auf Kleindienst: „Er muss seine Chance nutzen, wir sind immer auf der Suche nach Stürmern, die unseren Kader auch in Richtung eines großen Turniers füllen können und da ist Tim sicherlich ein Kandidat.“ Die Konkurrenz im DFB-Kader ist naturgemäß riesig. Neben dem verletzten Füllkrug sind Kai Havertz und Deniz Undav feste Bestandteile der DFB-Offensive. Mit Jamie Leweling und Jonathan Burkhardt durften sich in der Nations League andere Konkurrenten ebenfalls beweisen – im Fall des Stuttgarters Leweling sogar mit großem Erfolg. Und dennoch bringt Kleindienst ein Profil mit, dass es im deutschen Lager sonst nicht im Überfluss gibt. Was dem Borussen helfen würde im Blick auf noch mehr Einsatzzeiten im DFB-Trikot, wären weitere gute Spiele und auch Tore für die Fohlen.
Die hat der Verein vom Niederrhein auch dringend nötig. Somit kann Kleindiensts Länderspielreise für die Mannschaft von Gerardo Seoane nach einem punktetechnisch schwierigen Saisonstart nur von Vorteil sein. Das bereits große Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten dürfte bei dem 29-Jährigen noch ein Stück weit angewachsen sein. Auch wenn auf dem Neu-Nationalspieler nun noch mehr Verantwortung lasten mag als vor dem Debüt bei der DFB-Elf. Aus der jüngeren Trainerdiskussion hält er sich noch raus. „Ich hatte das zuletzt ausgeschaltet. Er ist unser Trainer, und das ist er solange, wie er im Amt ist.“
Ein potenzieller Anwärter aufs Kapitänsamt war Kleindienst bereits vor dem Saisonstart. Am Ende wurde der Neuzugang direkt in den Spielerrat der Borussia bestimmt. Auch, weil er aufgrund seiner Einstellung ein Vorbild auf dem Platz ist. Das hat er in den vergangenen beiden Spielzeiten in Heidenheim bewiesen.
Am Samstag folgt für den 29-Jährigen nun im Borussia-Park das Wiedersehen mit seinem Ex-Klub. Der Verein, bei dem der Stern von Tim Kleindienst erst so richtig aufging. „Ich freue mich wahnsinnig darauf, meine Ex-Kollegen wiederzusehen“, sagte er nach dem Spiel gegen die Niederlande. „Wir sind individuell die bessere Mannschaft als Heidenheim, aber wir müssen wissen, dass da ein brutaler Teamspirit auf uns zukommt. Es wird ein anstrengendes Spiel. Aber wir müssen bestimmen, was im Borussia-Park abgeht.“