BVB-Sportdirektor Zorc: „Keine Transferoffensive“
Bad Ragaz (dpa) - Wie ersetzt man Ausnahmekönner wie Mats Hummels, Henrich Mchitarjan und Ilkay Gündogan? Zusammen mit Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Trainer Thomas Tuchel war BVB-Sportdirektor Michael Zorc in den vergangenen Monaten mächtig gefordert.
Üppige Transfereinnahmen von über 100 Millionen Euro erleichterten die schwierige Aufgabe. In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur im BVB-Trainingslager von Bad Ragaz erklärt Zorc die viel diskutierte Personalpolitik des Revierclubs.
Sie sind jetzt seit 18 Jahren beim BVB für die Kaderplanung verantwortlich. War das Ihr bisher arbeitsreichster Sommer als Sportdirektor?
Michael Zorc: Ich will es mal so sagen: Es war ein sehr ambitionierter Sommer. Dabei war der Umbruch in dieser Größenordnung eigentlich gar nicht geplant. Wir hatten ursprünglich gehofft, den ein oder anderen Spieler, der uns dann doch verlassen hat, halten zu können. Doch sie haben sich anders entschieden. Angesichts der Summen, die im Raum standen, war es für uns letztlich alternativlos, diese Transfers zu realisieren.
Der BVB hat 120 Millionen Euro in neue Stars investiert. Dennoch beklagte Trainer Thomas Tuchel, dass die Preise kaputt seien und der Fußball aufpassen müsse, nicht den Kontakt zu den Fans zu verlieren. Wie passt das zusammen?
Zorc: Wir haben in etwa so viel ausgegeben, wie wir eingenommen haben! Da gibt es keine große Differenz.
Mit dem Verkauf von Mchitarjan und Hummels haben Sie Transfersummen-Rekorde für Spieler mit nur noch einem Jahr Vertragslaufzeit aufgestellt ...
Zorc: Es wäre vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen, dass man für drei Spieler, die einen Vertrag mit einer Restlaufzeit von nur noch einem Jahr haben, über 100 Millionen Euro bekommt. Das stimmt!
Aber wird Ihnen angesichts der galoppierenden Preise auf dem Transfermarkt nicht angst und bange?
Zorc: Man kann natürlich lange darüber debattieren, ob diese Preise gerechtfertigt sind. Aber sie sind da. Das ist der Markt, und an dem haben wir uns zu orientieren. Es ist viel Geld im Umlauf.
Wie bekommt man den Geist wieder in die Flasche?
Zorc: Ich befürchte, es wird nicht mehr günstiger werden. Die neuen Fernsehverträge in Deutschland, und in noch größerer Ausprägung in England, bedeuten einen riesigen Sprung. Davon profitiert am Ende auch die Bundesliga, weil das Geld auch bei uns in Umlauf kommt. Der Spieleretat beim BVB hat erstmals die 100-Millionen-Euro-Marke überschritten.
Betreibt der BVB ein riskantes finanzielles Spiel?
Zorc: In keinster Weise. Wir haben in den letzten Jahren eine sehr solide und transparente Haushaltführung nachgewiesen. Sie müssen immer eine Nettobetrachtung machen: Welche Einnahmen stehen den Ausgaben entgegen. Deshalb gibt es bei uns auch keine Transferoffensive. Eine Transferoffensive wäre es, wenn wir netto 100 Millionen investieren würden. Das ist aber nicht der Fall. Wir haben versucht, die Abgänge so gut wie möglich zu kompensieren.
Namen wie Götze, Schürrle oder Dembélé klingen verheißungsvoll. Aber ist ein solch großer Umbruch nicht auch gewagt?
Zorc: Ich finde ihn eher spannend. Wir haben im Offensivbereich ausschließlich Mchitarjan verloren. Sie haben gerade drei Offensivspieler genannt, die enorme Qualität mitbringen. Ich sehe uns sehr gut aufgestellt! Die beiden Weltmeister Götze und Schürrle stehen trotz diverser anderer Neuzugänge im Mittelpunkt.
Doch beide Stars werden von einigen Fans kritisch beäugt ...
Zorc: Allen ist bewusst, dass es auch die eine oder andere kritische Stimme gibt. Dass Mario und André sagen, ich gehe den schwereren Weg, nötigt mir Respekt ab. Sie wissen: In diesem Club kann richtig Dynamik entstehen, und da möchte ich unbedingt dabei sein! Im Fall von Mario Götze und André Schürrle sind wir ziemlich sicher zu wissen, was wir bekommen. André kennt den Trainer und die Bundesliga, Mario ist in diesem Club groß geworden.
Götze verließ den BVB als Jahrhunderttalent und kehrt als Bayern-Reservist zurück. Thomas Tuchel will ihn wieder lächeln sehen. Schafft der Trainer das?
Zorc: Wir sind überzeugt davon. Die sportliche Qualität und Kreativität von Mario ist bekannt. Er hatte zuletzt ein unglückliches Jahr in München. Er hat als Spieler jetzt die Pflicht, wieder das Bestmögliche aus sich herauszuholen und wirkt sehr, sehr fokussiert auf den Fußball.
Die Fachwelt bestaunt das Offensivpotenzial der Borussia. Aber genügt auch die Defensive internationalen Ansprüchen?
Zorc: Ja. Die Stärken von Raphael Guerreiro und Marcel Schmelzer ergänzen sich sehr gut. Und Marc Bartra bringt sehr viel Talent und spielerische Qualität mit. Wir werden häufig Ballbesitzfußball gegen tief stehende Mannschaften spielen - und den gab es auch bei seinem ehemaligen Club FC Barcelona. Marc hat in der Spieleröffnung große Qualität. Dazu kommen Sokratis, Bender und Ginter. Wir sind sehr gut aufgestellt.
Ist die Einkaufstour nun beendet? Oder kommt womöglich noch Mario Gomez hinzu, wie türkische Medien spekulieren?
Zorc: Nein. Das wäre in der Konstellation sinnbefreit. Wir haben in Pierre-Emerick Aubameyang und Adrian Ramos zwei ausgesprochene Torjäger und obendrein verschiedene Profis, die sowohl im offensiven Mittelfeld als auch in der Spitze gespielt haben. Im Moment ist kein weiterer Zukauf geplant.
Wird es neben Hummels, Gündogan, Mchitarjan und Blaszczykowski weitere Abgänge geben? Es heißt, Leitner darf sich einen neuen Verein suchen.
Zorc: Wir sind in konkreten Gesprächen - ohne jetzt schon sagen zu können, ob ein Transfer am Ende realisiert wird.
Auch der Name Ginter kursiert in den Medien. Will der BVB ihn abgegeben?
Zorc: Matthias Ginter ist - obwohl er schon Jahre in der Bundesliga spielt - noch ein sehr junger Profi. Wir planen weiter mit ihm!
Was muss in dieser Saison passieren, damit sie am Ende zufrieden sind?
Zorc: Wir möchten uns wieder direkt für die Champions League qualifizieren, in der Königsklasse überwintern - und ich finde Finals in Berlin ehrlich gesagt immer extrem reizvoll. Das Wichtigste aber ist: Wir müssen am Ende das Gefühl haben, unser Potenzial nahezu ausgeschöpft zu haben.
ZUR PERSON: Michael Zorc ist mit 463 Bundesligapartien Rekordspieler von Borussia Dortmund. In seiner Zeit als Profi gewann der BVB die Champions League (1997), zwei deutsche Meisterschaften (1995 und 1996) und den DFB-Pokal (1989). Der in der Revierstadt geborene siebenmalige Nationalspieler übernahm am Ende seiner aktiven Karriere im Jahr 1998 bei seinem Stammverein die Position als Sportdirektor.