Der Kämpfer und der große Schock: Frankfurts Marco Russ
Frankfurt/Main (dpa) - Auch nach der Schreckensnachricht, an einem Tumor erkrankt zu sein, hatte Marco Russ nur eines im Sinn: Den Bundesliga-Verbleib mit Eintracht Frankfurt, die beiden Relegationsspiele gegen den 1. FC Nürnberg.
Beim 1:1 (0:1) im ersten Duell wurde Russ dann aber auch noch zum sportlichen Pechvogel. In der 43. Minute unterlief ihm ein Eigentor zum 0:1, das Mijat Gacinovic nach der Pause immerhin noch ausgleichen konnte (65.). Im Rückspiel wird Russ nun allerdings fehlen, weil er sich die zehnte Gelbe Karte einhandelte.
Schon am Mittwochabend, als er die niederschmetternde Diagnose erhalten hatte, gab Russ sofort Grünes Licht für einen Einsatz. Die Eintracht-Verantwortlichen um Chefcoach Niko Kovac rechneten dem 30-Jährigen dies hoch an, wollten ihn aber zunächst noch einmal eine Nacht über die Dinge schlafen lassen. Doch als Kovac seinen Abwehrchef am Donnerstagnachmittag wenige Stunden vor dem Anpfiff des ersten Duells mit den Franken noch einmal fragte, bekam er wieder nur eine Antwort: Russ wollte bei einer der wichtigsten Partien der jüngeren Vereinsgeschichte unbedingt dabei sein. Von den Ärzten habe es keine Einwände gegeben, erklärte Vorstandsboss Heribert Bruchhagen vor dem Spiel. „Sonst hätten wir es selbstverständlich auch nicht gemacht.“ Auch der DFB hatte erklärt, dass Russ spielen dürfe.
Und so lief Russ am Donnerstagabend um kurz vor 20.00 Uhr in die Commerzbank-Arena ein, lautstark gefeiert von den Eintracht-Fans. „Kämpfen & Siegen Marco!“, stand auf einem Transparent vor der Fankurve der Frankfurter Anhänger. Die Fans riefen bei der Aufstellung bei jedem Frankfurter Spieler den Namen „Russ“.
Russ ist ein kantiger, robuster Verteidiger, er spielt mit einer kurzen Unterbrechung seit genau 20 Jahren für seinen Verein. Wenn man nach Gründen sucht, warum die Eintracht nicht schon vorzeitig aus der Fußball-Bundesliga abgestiegen ist, dann landet man bei der Arbeit von Trainer Niko Kovac, zwei wichtigen Toren von Stefan Aigner - und dem Einsatz von Marco Russ. Er hat dieses Team in den vergangenen Wochen angetrieben. Auf dem Platz und neben dem Platz.
Seit Mittwochnachmittag weiß der 30-Jährige: Sein vermeintlich härtester Kampf steht ihm noch bevor. Bei Russ wurde eine schwere Tumorerkrankung festgestellt. Aufgefallen ist die nur, weil er am 30. April nach dem Derbysieg bei Darmstadt 98 eine Doping-Probe abgeben musste. Deren Untersuchung ergab einen „einen auffällig erhöhten Wert des Wachstumshormons HCG“ in seinem Körper, teilte die Eintracht mit.
Bei zwei weiteren Proben an Himmelfahrt und nach dem Spiel in Bremen am vergangenen Samstag seien die Werte „linear gestiegen“, wie Bruchhagen erklärte. Damit war klar: Hier handelte es sich nicht um einen Dopingfall, sondern um einen persönlichen Schicksalsschlag. „Ich habe in 30 Jahren Bundesliga viel erlebt. Ein so schlimmes Ereignis vor einem solch wichtigen Spiel aber noch nie“, sagte Vorstandschef Heribert Bruchhagen dem „hr-sport“.
Zahlreiche Bundesliga-Clubs twitterten am Donnerstag ihre Genesungswünsche an den Frankfurter Verteidiger. Viele Eintracht-Fans aber fragten sich neben aller Betroffenheit auch: Wie kann man sich mit einem Tumor im Körper noch so in jeden Ball und jeden Zweikampf werfen, wie Russ das in den vergangenen Spielen getan hat? Und vor allem: Wie muss man sich fühlen, wenn man gerade die bislang schlimmste Nachricht seines Lebens erhalten hat und auf einmal steht die Staatsanwaltschaft vor der Tür? Die Ermittler hatten genauso wie der Verein die Nachricht von der Doping-Probe erhalten, aber sie schlossen daraus: Der Mann ist gedopt, und nicht erkrankt.
Gemessen an all dem, habe Russ „sehr gefasst“ reagiert, berichtete Bruchhagen. Der Abwehrspieler war schon immer das, was Fans und Journalisten gern einen „Kämpfer“ oder „Anführer“ nennen. Über die vergangenen Wochen bei der Eintracht hat ihr Torwart Lukas Hradecky in einem FR-Interview gesagt: „Die Mannschaft hat einen gebraucht, der mehr spricht in der Kabine. Marco Russ füllt diese Rolle aus.“