Differenzen in Technikfragen: DFB und DFL uneins
Santo André (dpa) - Das riecht nach Streit im deutschen Fußball: Mitten in der heißen WM-Phase und pünktlich zum Trainingsauftakt vieler Bundesligisten sind DFB und DFL in der pikanten Technikdebatte wieder einmal völlig unterschiedlicher Meinung.
Keine acht Stunden, nachdem Bundestrainer Joachim Löw und DFB-Boss Wolfgang Niersbach im WM-Quartier der Nationalmannschaft in Brasilien eine Einführung des Videobeweises klipp und klar abgelehnt hatten, wurden komplett konträre Aussagen von Andreas Rettig publik.
Der Geschäftsführer Spielbetrieb der Deutschen Fußball Liga (DFL) macht sich zum Ersten Fürsprecher in Deutschland für die von FIFA-Chef Joseph Blatter postulierte Video-Revolution. Dabei gab es in der Bundesliga bislang nicht einmal für die bei der WM erstmal eingesetzte Torkontrolle mittels Kameras eine ausreichende Mehrheit. „Die Torlinientechnologie und die mit ihr verbundenen Investitionen klären nur fünf Prozent der kritischen Torentscheidungen auf, wesentlich effektiver zur Reduzierung der Fehlentscheidungen wäre der Videobeweis“, sagte Rettig der „Bild am Sonntag“.
Das Interview wurde vor den Aussagen von Löw und Niersbach geführt, die Differenzen bleiben dennoch frappierend. „Torlinientechnologie ja, Videobeweis nein“, sagte Löw am Samstag kurz und knapp. Auch Niersbach befürwortet die Blatter-Idee nicht. „Wir vom DFB sind klar für die Torlinientechnologie. Beim Videobeweis wäre ich äußerst skeptisch. Da kann ich nur meine Bitte in Richtung FIFA wiederholen: Dann schafft lieber die Dreifachbestrafung ab, ehe ihr mit neuen Dingen kommt, die in den Gremien überhaupt nicht besprochen worden sind“, sagte der Chef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).
Prinzipiell könnte die DFL alle technischen Neuerungen auch ohne Absegnung des Dachverbandes DFB einführen, wenn das International Football Association Board - dem Blatter angehört - die Regeln eines Tages entsprechend ändern sollte. Doch die viel beschworene Einheit im deutschen Fußball erscheint wieder einmal als Mär. Schon bei der Lizenzfrage für Red Bull Leipzig hatte es kürzlich geknirscht. Rettig selbst hatte im Vorjahr mit einem kritischen Interview über die DFB-Strukturen für massive Aufregung gesorgt. Die Wogen wurden nur mit Mühe geglättet.
Rettig verweist in Sachen Videobeweis auf das nicht gegebene Tor des Dortmunders Mats Hummels im DFB-Pokalfinale gegen den FC Bayern München. „Die Torlinientechnologie hätte Tor angezeigt, ohne eine eventuelle Abseitsstellung von Hummels zu berücksichtigen. Wäre es gerecht gewesen, dann auf Tor zu entscheiden?“, ergänzte er.
Die DFL stehe bereits mit Kollegen des niederländischen Verbandes KNVB in Kontakt, wo eine Art Videoschiedsrichter getestet werde. Gleichzeitig stellt Rettig aber klar: „Der Charakter des Spiels darf nicht verändert werden. Es soll nur eine zusätzlich zeitnahe Hilfe für den Schiedsrichter geben, um ihn vor krassen Fehlern zu bewahren.“
Die Einführung der Torlinientechnologie des deutschen Unternehmens GoalControl, die bei der WM eingesetzt wird, war von den 36 deutschen Proficlubs mehrheitlich abgelehnt worden. Im Dezember soll auf Antrag des FC Bayern München für die 1. Liga erneut abgestimmt werden.
Blatter hatte vor den ersten WM-Achtelfinalspielen auch verkündet, die UEFA wolle bei der Europameisterschaft 2016 die Torlinientechnik einsetzen und damit Kontinentalboss Michel Platini - bislang ein Technik-Skeptiker - und dessen Freund Niersbach provoziert. „Konkret haben wir bei der UEFA noch nicht darüber gesprochen“, erwiderte Niersbach.
Mit dem Videobeweis kann sich der DFB-Boss gar nicht anfreunden. „Wie oft erleben wir es, dass wir Szenen in der x-ten Wiederholung im Fernsehen sehen. Und dann ist man sich immer noch nicht einig, war das Foul nun im Strafraum oder außerhalb, war es Abseits oder nicht“, begründete er seine Vorbehalte. Die Debatte darüber droht nun zum deutschen Sommerthema der deutschen Fußball-Funktionäre zu werden.