Gisdol und das torreiche Hoffenheim: „Dieses Feurige“

Zuzenhausen (dpa) - Wenn Lois den Ball durch die Wohnung schießt, „dann muss meine Frau alles wegräumen“. Markus Gisdol sagt es mit einem Schmunzeln. Zuhause tobt der zweijährige Sohn des Trainers von 1899 Hoffenheim herum, in der Bundesliga treibt seine Mannschaft ihr mitunter vogelwildes Spiel.

48 Tore waren in den bisherigen zehn Saisonspielen der Kraichgauer zu sehen - so viele wie bei keinem anderen Team. Dabei tritt der Tabellenneunte erst an diesem Samstag (15.30 Uhr) gegen den FC Bayern München an. Eine Riesenherausforderung für Taktikfuchs und Ehrgeizling Gisdol.

„Bei uns ist sehr viel Risiko im Spiel“, räumt der 44-Jährige freimütig ein und erklärt mit glänzenden Augen: „Dieses Feurige, dieses Freie - das wollen wir nicht verändern.“ So brennt es eben öfter in der Abwehr, da Gisdol seine Profis bei ihrem Pressing weit aufrücken lässt. 23 Gegentore setzte es bei 25 eigenen Treffern. So viele erzielte nur Borussia Dortmund; selbst die Angriffsmaschine des Triple-Gewinners FC Bayern kommt auf drei weniger. „Aggressiv verteidigen, jederzeit aktiv und mutig sein, schneller und direkter Tempofußball“, so beschreibt der Chefcoach seine Spielweise.

Bei den Hoffenheimern, sagt Gisdol, „hat man nach dem Spiel immer ein Lächeln im Gesicht“. Meist ist es ein ungläubiges wie bei den turbulenten 3:3 gegen den SC Freiburg und gegen Schalke, der 2:6-Klatsche in Stuttgart, dem 2:2 in Mainz mit dem Gegentor in der Nachspielzeit oder zuletzt dem Skandalspiel mit dem Phantomtor von Stefan Kießling gegen Bayer Leverkusen.

Gisdol, die Spieler und die TSG-Fans haben seit dessen Amtsantritt am 2. April viel erlebt. „Alles auf Anfang“ - hieß damals das Motto beim Krisenclub von Mäzen und Milliardär Dietmar Hopp nach einigen Trainer- und Managerwechseln. Der frühere Assistent von Ralf Rangnick und Huub Stevens bei Schalke 04 hat „die geschriebene Hoffenheimer Fußballphilosophie tief in mir drin“. In der Relegation rettete er den Club vor dem Abstieg. Zusammen mit Sportchef Alexander Rosen bastelt er nun am Neuaufbau. „Er steht für den Hoffenheimer Weg, der uns damals nach zwei Aufstiegen ausgezeichnet hat“, hatte der frühere 1899-Erfolgscoach Rangnick nach der Verpflichtung Gisdols erklärt.

Der blonde Coach sortierte den Kader rigoros aus und verbannte Fehleinkäufe wie Eren Derdiyok, Problemfälle wie Tobias Weis und Topverdiener Tim Wiese in die Trainingsgruppe 2, die inzwischen aufgelöst ist. „Kein Jugendwahn, aber Jugendstil“, beschreibt Rosen die Vorgehensweise. Gisdol hat einen dünnen Kader mit vielen jungen Defensivspielern wie Niklas Süle, die er immer wieder reinwirft in die Bundesliga und sie bewusst „auch mal überfordert“. In der Offensive stärkte er den deutschen U 21-Kapitän Kevin Volland und den brasilianischen Wirbelwind Roberto Firmino. Beide gehören ebenso wie Sturmspitze Anthony Modeste inzwischen zu den Top-Torschützen und -Vorbereitern im Oberhaus.

Gisdol will mit Hoffenheim eine „stabile Mitte“ in der Bundesliga werden - und dem Club endlich wieder ein Gesicht geben. „Wir haben die Zeit für beendet erklärt, in der Hoffenheim große Sprüche macht. Wir wollen Wiedererkennungswert schaffen“, sagt er. „Ein großes Problem war die verlorene Identität. Keiner wusste mehr so richtig, für was Hoffenheim überhaupt steht. Wir wollen uns in erster Linie über unseren Fußball definieren.“ Auch wenn dieser manchmal noch etwas vogelwild ist.