Hoeneß und die Tränen - „Fatal für öffentliche Hygiene“
München (dpa) - Als Uli Hoeneß tränenreich von seiner Steuersünde berichtete, huldigte die Masse ihrem Mr. FC Bayern mit langanhaltendem Applaus. Fast bedingungslos sicherten die Mitglieder dem Präsidenten des mächtigsten deutschen Clubs ihre Gefolgschaft zu.
Konsequenzen aus der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe oder dem anstehenden Strafprozess? Forderte niemand.
„Eine fatale Situation für die öffentliche Hygiene“, urteilte Wolfgang Seibel, der sich als Professor an der Universität Konstanz unter anderem mit dem Verhältnis von Macht und Moral beschäftigt. „Jugendliche laufen jetzt mit Bayern-Schals durch München und rufen in Richtung des Steuerbetrügers weiterhin: Uli, Uli! Damit geht gerade bei Jüngeren ein bedrückender Verlust an Respekt vor der Rechtsordnung“, sagte Seibel am Donnerstag im dpa-Gespräch.
Seit sieben Monaten schwebt die Steueraffäre über dem erfahrenen Fußballstrategen Hoeneß, seit sieben Monaten sitzt er seine Steuersünde aus. Bei Bayerns Jahreshauptversammlung am Mittwochabend mobilisierte Hoeneß die Vereinsschar durch große Emotionen. „Er setzt auf eine falsche Kameraderie“, monierte Sylvia Schenk, Sportbeauftragte der Antikorruptions-Organisation Transparency International. „Hoeneß hat bis heute nicht verstanden, dass Glaubwürdigkeit und Reputation nicht verwechselt werden dürfen mit Emotionen und Anerkennung der Basis.“
An Rücktritte aus dem Vereinspräsidium oder dem Aufsichtsrat der ausgegliederten Profi-AG verschwendet er nach eigenen Angaben auch deshalb keine Gedanken, weil er sich großer Unterstützung sicher ist. Und in der Tat: Neben vielen Bayern-Granden stärken ihn öffentlich selbst Wirtschaftsführer wie Martin Winterkorn (VW), Herbert Hainer (Adidas), Rupert Stadler (Audi) und Timotheus Höttges (Telekom).
„Im Aufsichtsrat der Bayern sitzt nicht irgendwer, sondern die Crème de la Crème der deutschen Industrie. Firmen, die zuletzt zum Teil erhebliche Probleme mit Korruption und Bestechung hatten, die Eide geschworen und ganze Compliance-Abteilungen gegründet haben, um dem ein Ende zu setzen“, kommentierte Seibel. Audi und Adidas sind sogar Anteilseigner der FC-Bayern-AG - und gehen einem Konflikt mit dem Steuerbetrüger Hoeneß trotzdem konsequent aus dem Weg. „Das erweckt ein Bild von Deutschland als Bananenrepublik“, wetterte er.
Der Politikwissenschaftler vom Bodensee verglich den Fall Hoeneß gar mit „berlusconimäßigen Verhältnissen“. Der Druck auf den 61-Jährigen sei anders als bei Ex-Bundespräsident Christian Wulff oder dem früheren Post-Chef Klaus Zumwinkel erstaunlich niedrig. „Das zeigt ein ungelöstes Problem öffentlicher Ethik“, befand Seibel.
Warum, können auch Schenk und Seibel nicht nachvollziehen. Allein schon der Instinkt müsse jedem Spitzenmanager sagen, „dass er aus einer klaren Ansage in Richtung Hoeneß einen Imagegewinn ziehen würde“, befand der Politikprofessor. Vom einfachen Bayern-Mitglied könne man nicht verlangen, gegen Hoeneß aufzubegehren. „Er ist volksnah, vielleicht haben viele das Gefühl: Wir verraten ihn und seine Leistungen, wenn wir ihn nicht im Amt lassen“, mutmaßte Schenk.
Andere Spitzenmanager müssten Hoeneß stattdessen die Richtung weisen, sagte Seibel. „Aber wir sehen vielmehr ein erhebliches Versagen von Wirtschaft und Politik aus völlig durchsichtigen Gründen, nämlich Angst vor Popularitätsverlust. Selbst die Linken halten sich zurück.“ Wissenschaftler Seibel machte eine „Verantwortungslosigkeit der Funktionäre“ aus, „die es überhaupt zulassen, dass einem Steuerbetrüger auch noch zugejubelt wird. Das lässt moralische Strukturen erodieren“.
Hoeneß selbst hat inzwischen einen persönlichen Volksentscheid in Aussicht gestellt. Nach dem Strafprozess im kommenden Frühjahr will sich der 61-Jährige bei einer außerordentlichen Versammlung nochmals den Mitgliedern stellen - und sie über ihn abstimmen lassen. Womöglich selbst bei einer Gefängnisstrafe. „Er hat jetzt noch mal die Emotionen gespürt, vielleicht hat er das gebraucht. Jetzt könnte er sich zurückziehen, sich auf das Verfahren konzentrieren und den Verein aus der Schusslinie nehmen“, kommentierte Schenk.