Noch immer am Ball: „Tanne“ Fichtel wird 70
Waltrop (dpa) - Klaus Fichtel will seine Ruhe haben. Schon eine Woche vor seinem Ehrentag hat er sein Handy ausgeschaltet und ist auch zu Hause in Waltrop nur schwer erreichbar. Dabei möchten ihm am Mittwoch viele Menschen zum 70. Geburtstag gratulieren.
An seinem Ehrentag wird sich auch die Bundesliga wieder an den Spieler erinnern, der vor etwas mehr als einem Vierteljahrhundert mit 43 Jahren, sechs Monaten und zwei Tagen als bis heute ältester jemals aktiver Spieler von der höchsten deutschen Fußball-Klasse Abschied nahm.
Den runden Geburtstag feiert er mit der Familie und den engsten Freunden zu Hause im kleinen Kreis. Da muss er auch nicht wieder die alten Geschichten erzählen, wie er es vom Bergmann auf der Zeche Victor und dem kleinen Vorortclub Arminia Ickern zum FC Schalke und später sogar zum Rekordspieler der Bundesliga geschafft hat.
Wie viele Jugendliche damals im Ruhrpott heuert der in Castrop-Rauxel geborene Fichtel mit 14 Jahren auf der Pütt an. Trainer Fritz Langner holt ihn mit 20 für 1200 Mark Grundgehalt nach Schalke. Sein erstes von 552 Bundesligaspielen - 477 für Schalke, 75 für Werder Bremen - wird Fichtel wohl nie vergessen. Beim 0:1 gegen Stuttgart unterläuft ihm ein Eigentor. Es bleibt das einzige in der gesamten Laufbahn.
Als eine der ersten Amtshandlungen verpasst ihm Langner den Spitznamen „Tanne“. Als Fichtel am 21. Mai 1988 mit den Gelsenkirchenern sein letztes Bundesligaspiel gegen Werder Bremen bestreitet, huldigen die Fans dem Libero mit dem Transparent „Der Wald stirbt, aber die Tanne steht“.
Nur einmal gerät die standfeste „Tanne“ ins Wanken. In der Schlussphase der Saison 1970/71 verstrickt sich Schalke mit einem 0:1 gegen die abstiegsbedrohten Bielefelder in den Bundesliga-Skandal und wird später als „FC Meineid“ beschimpft, weil Spieler wie Klaus Fischer und der inzwischen verstorbene Rolf Rüssmann noch vor Gericht beschwören, kein Geld vom Gegner angenommen und mit Schiebung nichts zu tun zu haben.
Fichtel selbst nimmt dabei eine tragische Rolle ein. „Ich bin damals beim Stand von 0:0 wegen eines Muskelfaserrisses im Oberschenkel ausgewechselt worden und nachher trotzdem zu einer Geldbuße verurteilt worden“, erzählt er später in einem Interview mit dem Fachblatt „RevierSport“. Fichtel gibt aber zu: „Es ist sicherlich vor dem Spiel darüber gesprochen worden, die Begegnung freiwillig zu verlieren. Aber ob eine Entscheidung darüber gefallen war, das Spiel zu verkaufen oder nicht zu verkaufen, war meiner Meinung nach bis zum Spielende nicht klar.“
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauern Jahre, Fichtel wird im März 1973 für zwei Jahre gesperrt, aber im Januar 1974 begnadigt.
Fußballerisch beginnt für ihn der zweite Frühling, doch seine Karriere in der Nationalmannschaft ist da nach 23 Länderspielen und einer WM-Teilnahme 1970 schon vorbei. Das liegt allerdings nicht nur am Bundesliga-Skandal. Franz Beckenbauer, die Lichtgestalt des deutschen Fußballs, erweist sich auf seiner Position als zu starke Konkurrenz.
Noch heute ist er regelmäßig mit der Schalker Traditionsmannschaft am Ball, immer dienstags auf Kunstrasen in der kleinen Halle im Schatten der großen Arena. Nur in dieser Woche setzt der drahtige Rentner, der bis 2009 für Schalke noch als Scout tätig war, einmal mit dem Training aus. Bei den Vorbereitungen auf die kleine Feier zu seinem Ehrentag muss er seiner Frau Gabriele helfen.